http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1989/0272
5. Die Kreispflegeanstalt im „Dritten Reich"
Die Berichte an die Kreisversammlung wurden in den nun folgenden Jahren immer
formeller und glichen sich fast wörtlich. Klagen über die große Anzahl männlicher
Personen, die sich auf Wanderschaft befanden und einige Tage wegen Krätze oder
eines Fußleidens aufgenommen werden mußten, oder Probleme der Hausordnung
durch eingeschmuggelten Alkohol wurden zu erwähnenswerten Vorkommnissen. Vor
allem die Invalidenrentner konnten ihre monatliche kleine Rente in Alkohol umsetzen
, während die Frauen löblicherweise dieses Taschengeld für notwendige Anschaffungen
zu verwenden pflegten.
Am 1. September 1933 war Dr. Guttenberg von seinem Posten als Hausarzt zurückgetreten
und der praktische Arzt Dr. Elble an seine Stelle getreten. Als ersten Reflex
auf die neue, nationalsozialistische Gesetzgebung vermerkt der Jahresbericht
1933/34: „Neben dem allgemeinen ärztlichen Dienst entsteht dem Hausarzt der
Kreispflegeanstalt eine Fülle von Arbeit in der Durchführung des Gesetzes zur Verhütung
erbkranken Nachwuchses, da die Durchführung der Sterilisation auch bei einer
Anzahl Insassen der Kreispflegeanstalt in Betracht kommt."85
Sonst hatte die Machtergreifung in Freiburg keine unmittelbaren Folgen für die
Kreispflegeanstalt. In der Kreisversammlung waren die Nationalsozialisten in der
Minderheit.86 Außer dem Stühlinger Männergesangsverein und der Rotkreuzkapelle
konzertierte nun auch die SA-Standarte 113 in der Anstalt.
Das seit 1932 zur Kreispflegeanstalt gehörige Kreisaltersheim Kenzingen wurde
ausgebaut und am 26. September 1936 seiner Bestimmung übergeben, was darauf
hinweist, daß die Auflösung der Freiburger Anstalt im November 1940 im Rahmen
der Euthanasieaktion T 4 nicht langfristig geplant war.87
Warum gerade Freiburg aufgelöst wurde, läßt sich nicht mehr zuverlässig klären,
da viele Akten bei dem Luftangriff auf Freiburg am 27. November 1944 vernichtet
wurden.88 Ein Grund war wohl die Frontnähe zu Frankreich, die die Verwendung
der Anstalt als Lazarett nahelegte. Darüberhinaus muß bedacht werden, daß seit Anfang
des Jahrhunderts immer wieder über eine Verlegung der Anstalt diskutiert worden
war, weil man sie als hinderlich für die Entwicklung des Stühlingers betrachtete.
Im Oktober 1939 ging allen badischen Anstalten ein Meldebogen zu, in dem die
Personalien, Nationalität, Krankengeschichte und Anstaltsaufenthaltsdauer der Pfleglinge
erfragt wurden und ob die Betreffenden gute oder schlechte Arbeiter seien.
In Freiburg wurde die Beantwortung der Meldebögen verschlampt und erst nach
mehrfacher Aufforderung in der ersten Jahreshälfte 1940 erledigt.
Die Reichsstelle schickte die ausgefüllten Meldebögen zu Erstgutachtern, die ohne
Heranziehung der Krankenakten auf dem Meldebogen vermerkten, ob der Patient getötet
werden sollte oder nicht. Diese Meldebögen wurden dann Obergutachtern
zugestellt, die die Entscheidung des Erstgutachters bestätigen mußten. Die Berliner
Zentrale beauftragte aufgrund dieser Papiere die „Gemeinnützige Krankentransportgesellschaft
" mit dem Abtransport in die Tötungsanstalten.89
In Baden wurde die Begutachtung der Fragebögen durch Dr. Josef Arthur Schreck
vorgenommen, die verwaltungsmäßige Durchführung der Tötungsaktion oblag dem
obersten badischen Medizinalbeamten, Dr. Ludwig Sprauer. Gegen beide wurde im
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