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verletzten, die Luft verpesteten und Gewässer verschmutzten, gab es schon seit der
Mitte des 19. Jahrhunderts in Freiburg kaum eine Chance. Seit 1868 waren es wiederholt
Seifensiedereien, die wegen des üblen, beim Talgschmelzen entwickelten Gestanks
den Zorn der Umwelt erregten.66 1895 klagte die „Breisgauer Zeitung" wie-
derholt den „Ekel erregenden Ubelstand" in der Eisenbahnstraße an. Akzeptieren
wollte man auch nicht die Düngerfabrik Buhl & Keller, gegründet 1881, die Fäkalien
der Stadt verarbeitete, daraus schwefelsaures Ammoniak gewann, obwohl als Freiburger
Poudrette von einem renommierten Experten wie Prof. Engler, Vorstand der
Großherzoglichen Chemisch-technischen Prüfungskommission und Versuchsanstalt
in Karlsruhe, gelobt.67 Die erste chemische Fabrik gründeten in Freiburg 1874 ortsansässige
Apotheker, die Gebrüder Keller,68 Der Firma Dr. Karl Richter (seit 1876)
und ihren Nachfolgern wurde 1885 die Genehmigung erteilt, ihre Produktion auch
auf Chloride und auf Laboratoriumsversuchsarbeiten auszudehnen, „welche das
ganze Gebiet der Chemie betreffen", insbesondere auf Verfahrenstechniken, unter
Verwendung von Dampf und synthetischen Olen Toiletten- und medizinische Seifen
herzustellen. Beschwerden wurden laut gegen den 1898 eröffneten Laboratoriumsbetrieb
des Dr. Zerbe.69 Vom Mitbesitzer der Firma Merck, Darmstadt, wurde die
Freiburger Stadtverwaltung Ende 1900 vor der Sulfonalfabrik des Dr. Zerbe gewarnt,
weil durch sie „nicht nur die nähere, sondern auch die weitere Umgebung vollständig
verpestet wird". Das Ausgangsmaterial würde „einen ganz schauderhaften, nicht zu
beschreibenden Geruch" haben. Wenig später wurde dem Dr. Zerbe die Herstellung
von Jodoform untersagt, weil sie eine gewaltige Schädigung der Stadt bedeutete. Tief
wurzelte die Ablehnung der Freiburger gegen lästige Betriebe und nicht zuletzt gegen
die Emissionen der Schornsteinindustrie. Als H. M. Poppen & Sohn, Universitäts-,
Accidenz- & Werkdruckerei (gegr. 1784), 1885 den Bau einer Ringofenanlage ausgerechnet
in einem für ein Villenviertel vorgesehenen Ortsteil plante, wurde das Vorhaben
in Freiburg auch wegen der befürchteten Schädigung des Pflanzenwuchses abgewiesen
, aber 1886 unter Bedingungen vom Großherzoglichen Ministerium des
Innern im vollen Umfang genehmigt.70 Ungezügelter Manchester-Liberalismus faßte
in Freiburg wohl nie Fuß. Statt mehr Freiheit forderte der Handelskammerbericht von
1874 Begrenzungen. „Die völlige Ungebundenheit des Individiums erzeugt moralisch
, sozial und wirtschaftlich so große Nachteile und Schädigungen für die Gesamtheit
, daß der Wert der persönlichen Bewegung allzu teuer erkauft ist, und in einer
gewissen Begrenzung derselben notwendig das unseren gesellschaftlichen Zuständen
angemessene und entsprechende Maß gesucht werden muß." Wohl in allen alten Universitätsstädten
bestanden gegen eine unkontrollierte Industrialisierung Vorbehalte.
Das Gesetz städtischen Wachstums wurde in Freiburg nicht von der Industrie diktiert
, der Mensch nicht unerbittlich ihren Zwängen unterworfen. „Die Stadt mit ihrer
herrlichen Umgebung, ihren vortrefflichen kulturellen Einrichtungen, der aufblühenden
Universität" stellte eine Denkschrift des Städtischen Tiefbauamts von 1912
fest,71 „ist wie geschaffen für den Zuzug wohlhabender Leute". Ganz in die Richtung
einer Raumerweiterung zugunsten von Villenvierteln folgte jahrzehntelang Frei-
burgs Stadtplanung, die sich daher nicht wie andere Städte um die Ansiedlung von
Industrie bemühte. Zutreffend beschrieb die „Freiburger Zeitung" vom 10. April 1912
das Resultat: Die „Breisgauperle" habe sich seit Jahrzehnten zur bevorzugten Frem-
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