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Trotz der der Industrialisierung nachteiligen Standortlaktoren vollzog sich zumindest
im Rathaus seit 1908 ein Umdenken zugunsten einer Politik der Industrieansied-
lung. Die Utopie, eine Kleinstahlwaren-Fabrikation aus der Gegend von Remscheid
und Solingen wegen des Zusammenbruchs der Solinger Bank auf die Freiburger Markung
zu verpflanzen, geisterte durch die Köpfe. Beruhigend wirkte dabei» daß sich
die Stahlwarenherstellung durch vollkommen hygienische Einrichtungen auszeichnen
würde. Für den Sinneswandel auf dem Rathaus gegenüber der Industrieansiedlung
lieferte die Denkschrift des städtischen Tiefbauamts vom 25. Oktober 1912 zwei Argumente
: 79
L „Die Bedenken, welche man früher vielfach gegen die Erstellung industrieller
Unternehmungen in hiesiger Stadt aus ästhetischen Gründen erhob, sind heute seit
Benutzung der elektrischen Kraft nicht mehr in gleicher Weise maßgebend. . .
2. Die Industrie wirkt nach alten Erfahrungen nicht nur durch Förderung des Massenverbrauches
, an dem es leider den Freiburger Detailgeschäften allmählich fehlt,
sondern sie übt auch einen belebenden Einfluß aus auf unsere allgemeinen Verkehrsverhältnisse
".
Erstmals im Jahre 1912 wies die Stadt Freiburg Industriegelände aus, ein Gewerbegebiet
von 28 ha 55 ar an der Breisacher Bahn gegenüber dem Exerzierplatz. Offiziell
wurde verlautet: „Die Stadtgemeinde beabsichtigt die Ansiedlung von Industrie in
Freiburg dadurch zu fördern, dass sie städtisches Gelände, versehen mit Bahnanschluß
, Straßen, Gas, Elektrizität und Kanalisation um mäßigen Preis abgibt". An-
siedlungserfolge ließen aber auf sich warten. Auch das anvisierte Geschäft mit dem
Verkehr wollte sich zunächst nicht einstellen. Freiburg war und blieb bis in die zweite
Hälfte des 20. Jahrhunderts unter den größeren Städten Südwestdeutschlands die
Stadt mit der geringsten Industriedichte. Der Zuzug von Wohlhabenheit80 prägte bis
ins 20. Jahrhundert die Konturen und Strukturen der Stadt, weniger die Zugluft des
modernen Industrialismus und schon gar nicht der Trend zur spezialisierten Industriestadt
. Eine soziale Kehrseite dieser Entwicklung war die schon vor dem Ersten
Weltkrieg zu beobachtende relativ hohe Arbeitslosigkeit.81 Aber Freiburg hatte nie
— wie andere Großstädte — Gedächtnisprobleme, weil es seine historische Identität
zu bewahren wußte.
Anmerkungen
* Erweiterte Fassung eines Vortrages, der am 17. Oktober 1990 vor dem Breisgau-Geschichtsverein und
dem Alemannischen Institut Freiburg gehalten wurde. Meine Forschungen zur Freiburger Industriegeschichte
förderte die Robert-Bosch Stiftung, wofür ich ihr sehr zu danken habe.
1 Hauptstaatsarchiv München, MH 143 8&
2 Bad, Gewerbe-Zeitung, 1900» S, 111.
3 Verzeichnisse von Reichspatenten, die Badenern erteilt wurden, in: Bad. Gewerbe Zeitung, Jg. 1879
bis 1900.
4 W. A. Boelcke, Sozialgeschichte Baden-Württembergs 1800 L989. Politik, Gesellschaft Wirtschaft,
1989, S.42f, 51 f, 213; 525 Jahre Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau, 1982.
s P. Borscheid, Naturwissenschaft, Staat und Industrie in Baden (1848 1914), 1976, S. 152.
6 StadtAF, Umlageregister.
? GLA 236/6508.
8 StadtAF, H 15446 (Testamente); die Universität regte insbesondere den Freiburger Buchdruck sowie
den Apparate- und Instrumentenbau an, Bad. Gewerbe-Zeitung, 1887, S. 436 f.
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