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gegen um über 50 % erhöht, und 1914 waren in den 215 badischen Ortsvereinen etwa
25 500 Sozialdemokraten organisiert.32
Die Werbewoche im März 1914 sollte versuchen, den schmerzlichen Einbruch bei
der letzten Wahl auszubügeln, indem sie die alten Mitglieder stärker als bisher mobilisierte
und neue hinzugewann. In Freiburg bot es sich an, jene Frau als Zugpferd
vor den festgefahrenen Parteikarren zu spannen, die als die bekannteste und mitreißendste
Rednerin der Sozialdemokratie galt, Rosa Luxemburg. Die „Volkswacht" erwartete
viel von der wortgewaltigen Rednerin aus Berlin und war überzeugt, daß ihre
Rede die „beste Einleitung zur roten Woche bilden"33 würde, die sich denken ließe.
Auf der Protestversammlung in Stuttgart hatte Rosa Luxemburg gerade erst erneut
ihre fesselnde Rhetorik unter Beweis gestellt. Ihre Wirkung auf die dortige Zuhörerschaft
muß wahrhaft folkloristisch gewesen sein: „Nach Schluß der Versammlung
begleitete die Menge die Genossin Luxemburg unter Gesang der Marseillaise
heim."34
Uber mangelnden Beifall und fehlende Solidaritätsbezeugung konnte Rosa Luxemburg
auch in Freiburg nicht klagen. „In dem Jubel, der die Genossin Luxemburg bei
ihrem Erscheinen umbrauste, in den stürmischen Beifallskundgebungen während des
einstündigen Vortrages", so vermeldete die „Volkswacht" zwei Tage nach der Rede,
„lag gleichzeitig das Gelöbnis, nunmehr erst recht mit verdoppelter Energie für die
Ideale zu kämpfen, für die Genossin Luxemburg eingetreten ist". Rosa Luxemburg
selbst schien die Doppelfunktion ihres Freiburger Auftrittes, als Protestversammlung
zum einen und Auftakt der roten Werbewoche zum anderen, zu begrüßen. Das Kalkül
der Freiburger Genossen in der „Volkswacht", daß „die Frankfurter Saat" aufgehe
und auch in „der roten Woche gute Früchte zeitigen" werde, entsprach ganz Rosa Luxemburgs
Vorstellung von der Kontraproduktivität ihrer Verurteilung für die deutsche
„Tendenzjustiz". Die Gerichte und alle anderen gegnerischen Kräfte, konservative,
christliche, bürgerliche und nationalliberale, hätten „zu früh gefrohlockt über Frankfurt
, denn das Urteil ist ein Teil von jener Macht, die stets das Böse will und oft das
Gute schafft".35 Angesichts der Roten Woche sei es geradezu günstig, daß das Urteil
gefallen sei, da es der sozialdemokratischen Agitation ein „unschätzbares Material"
für ihre „Aufklärungsarbeit" liefere, um all jenen die Augen zu öffnen, „die es bis
jetzt noch nicht verstanden haben: seht, so sieht es um Deutschlands Volk aus!" Setze
man die aus dem Frankfurter Urteil gewonnene „unschätzbare Lehre für die aufklärende
Arbeit" in Relation zu ihrer, Rosa Luxemburgs, Verurteilung, so erkläre sie
freimütig: „Auch zwei Jahre wären mir nicht zu viel!"
Auch die Gegner der Sozialdemokratie verstanden, daß die Genossen mit Rosa Luxemburg
ein sehr wirkungsvolles Geschütz für die Salutschüsse zur Roten Woche aufgefahren
hatten, und versuchten, die Bedeutung der Großveranstaltung herunterzuspielen
. „Die rote Woche fing mit Rosa an. — In dichtbesetzter Festhalle spie sie
[. . .] Feuer und Flamme gegen den Militarismus. Frau Luxemburg wußte nicht viel
Neues. Ihr Hauptschlager Krieg dem Kriege, fort mit dem Kadavergehorsam, wehe
den Kapitalisten etc. findet man jahraus, jahrein fettgedruckt in der Sozialistenpresse
behandelt."36
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