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xemburg schon 1899 formuliert, daß die Hochrüstung dabei in erster Linie der kapitalistischen
Wirtschaft diene: „Die Nachfrage des Staates [an Kriegsmaterial] zeichnet
sich durch eine Sicherheit, Massenhaftigkeit und günstige, meistens monopolartige
Gestaltung der Preise aus, die den Staat zum vorteilhaftesten Abnehmer und die Lieferungen
für ihn zum glänzendsten Geschäft für das Kapital machen,"43
Es sei, so folgert Rosa Luxemburg in Freiburg, nicht verwunderlich, daß jeder, der
wie sie gegen die mörderischen Züge von kapitalistischer Ausbeutung, kriegerischen
Ubergriffen und Wettrüsten im deutschen Gemeinwesen angehe, von diesem verfolgt
und angegriffen werde. Der Frankfurter Staatsanwalt habe diese Schlußfolgerung offen
bestätigt, indem er sagte: „Was die Angeklagte mit ihrer Agitation gegen den
Krieg getan hat, ist ein Attentat auf den Lebensnerv unseres Staates".44 Damit habe
er eigentlich ausgedrückt: „Der Lebensnerv des Staates, das ist der Militarismus,"
Dieses Eingeständnis entblöße erneut die verbrecherische Rücksichtslosigkeit des
deutschen Staatswesens. Nicht die Versorgung seiner Bevölkerung, Sozialfürsorge
oder Volksbildung sei ihm das dringlichste Anliegen, „sondern die Kaserne, die Bajonette
, die Pickelhauben, das ist der Lebensnerv".
Die doppelte Moral von „Preußen-Deutschland" werde besonders deutlich auch in
seiner Rechtsprechung. Die herrschende Justiz dulde Gewalt und Mord dort, wo sie
ihr opportun erschienen, und verfolge weit geringere, politische Vergehen mit unbarmherziger
Härte. Auf die erst kurz zurückliegende Zabern-Affäre und ihren eigenen
Fall abhebend, konstatiert Luxemburg: „Der Leutnant v, Forstner, der eine Aufforderung
zum Mord in aller Form getan hat, ist freigesprochen worden. (Allgemeine
Pfuirufe,) Derjenige, der gegen den Krieg agitiert, muß auf ein Jahr ins Gefängnis
wandern." Wäre die herrschende Klasse, wie sie es vorgibt, wirklich gerecht, friedfertig
und vaterlandsliebend, so müsse sie einsehen, daß der Militarismus all diesen
Zielen entgegenstehe. Zur Verteidigung des Vaterlandes, der einzig echten Notwendigkeit
einer Armee, bedürfe es statt dessen eines „Milizsystems" einer „allgemeinen
Volksbewaffnung", wie sie die Sozialdemokratie seit jeher gefordert habe.
Der Grund, weshalb sich die Regierung diesen überzeugenden Vorstellungen verschließe
, sei die Untauglichkeit einer solchen Milizarmee für den eigentlichen, den
wahren Beweggrund aller nach außen gerichteten militärischer Anstrengungen, den
Imperialismus. Die kapitalistische Herrscherriege wisse sehr wohl, „daß die Miliz
eben nur zur Verteidigung des Vaterlandes taugt, nicht aber zu verbrecherischen Kolonialkriegen
, nicht aber dazu, um anderen Völkern ihr Vaterland zu entreißen; und
darauf geht die heutige Militärpolitik hinaus"
In ihrer Monographie „Die Akkumulation des Kapitals", die sich als „Beitrag zur
ökonomischen Erklärung des Imperialismus" verstand, hatte Rosa Luxemburg den
Gedanken der gewaltsamen Expansion weiter ausgeführt, „Bei der hohen Entwicklung
und immer heftigeren Konkurrenz der kapitalistischen Länder um die Eroberung
nichtkapitalistischer Gebiete nimmt der Imperialismus an Gewalttätigkeit zu, sowohl
in seinem aggressiven Vorgehen gegen die nichtkapitalistische Welt, wie in der Verschärfung
der Gegensätze zwischen den konkurrierenden Ländern."45
Die Militarismus-Kritik Rosa Luxemburgs, wie sie uns in geballter Form in Freiburg
entgegentritt, ist ihrer Analyse des Imperialismus übergeordnet: Der Imperialismus
wird hier lediglich als Teil, als Primus inter Päres eines umfassenden Militaris-
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