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wegen körperlicher Gebrechen, Krätze, Tuberkulose oder wegen Ansteckungsgefahr
für die deutschen G.fefolgschaflsJ A, [ngehörigen] wieder sofort zurückgeführt werden
mußte, sich zum Anlernen für fein- und feinstmechanische Fertigung trotz erdenklichster
Mühe seitens der Betriebsleitungen durchaus nicht eignet." '21 Eine Augenzeugin
beschrieb die Ankunft eines Menschentransports aus der Sowjetunion auf dem
Freiburger Hauptbahnhof: „Ich wollte mich am Hauptbahnhof nach der Ankunft eines
Zuges erkundigen, als ich in der Halle eine Gruppe von ca. 60 Frauen jeden Alters
mit Kindern und Säuglingen, zusammengedrängt von Soldaten mit Gewehren bewacht
, stehen sah. Mehrere saßen oder lagen auf dem Boden. Die Menschen machten
einen stumpfsinnigen, uninteressierten, erschöpften Eindruck, waren total verdreckt
und ungepflegt, und viele hatten nur Lumpen um die Füße gewickelt. Soweit man die
Haare sehen konnte, die meisten trugen Kopftücher, waren sie ungekämmt und verfilzt
. Von der Gruppe ging ein unbeschreiblicher Gestank aus, so daß die ganze Wahrnehmung
einen abstoßenden, ekligen Eindruck erweckte, was auch bei jedem Beobachter
festzustellen war. Und genau dies wurde damit auch bezweckt!"28
Noch unmenschlicher als die Behandlung der Zivilbevölkerung war die der Kriegsgefangenen
aus der Sowjetunion. Bis Ende 1941 gerieten mehr als 3 Millionen Soldaten
der Roten Armee in deutsche Kriegsgefangenschaft, fast zwei Drittel von ihnen
verhungerten, erfroren oder kamen durch Seuchen ums Leben. Die übrigen litten in
einem solchen Maß an Unterernährung und Krankheiten, daß die meisten von ihnen
nach der Ankunft in Deutschland bei Bauern untergebracht wurden, die sie, wie man
sagte: „aufpäppeln" — mit anderen Worten: für die Arbeit in der Industrie einsatzfa-
hig machen — sollten.29 Im Januar 1942 trafen 150 russische Kriegsgefangene für
die Sägerei Himmelsbach in Freiburg, das Aluminiumwalzwerk Wutöschingen und
andere Firmen ein. Zwei von ihnen starben kurz nach der Ankunft, alle anderen mußten
, nachdem sie wenige Tage gearbeitet hatten, ins Lazarett gebracht werden, da eine
Fleckfieberepedemie ausgebrochen war.30
Die Verschleppung von Arbeitssklaven wurde immer perfekter organisiert. Unter
der Leitung des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz, Fritz Sauckel, war
seit 1942 mit der Geschäftsgruppe Arbeitseinsatz ein gigantischer Apparat zur Aushebung
von Arbeitskräften in Deutschland und in den besetzten Gebieten entstanden.
Firmen, die Arbeiter benötigten, meldeten ihren Bedarf den Arbeitsämtern, die die
eingehenden Anträge sammelten und an die Reichsanstalt für Arbeit in Berlin weiterleiteten
. Diese stellte minuziöse Statistiken zusammen, nach denen Sauckels Organisation
Aushebungspläne aufstellte, die Wehrmacht, Gestapo, SS und SD in enger
Zusammenarbeit ausführten.31 Nach ihrer Ankunft in Deutschland wurden die
Zwangsverpflichteten in Lager gesteckt, in denen alsbald Vertreter des Arbeitsamts
erschienen und sich die Arbeiter für die Rüstungsindustrie und die anderen kriegswichtigen
Wirtschaftszweige wie die Bahn und die Landwirtschaft heraussuchten.
1943 erreichten die Deportationen ihren Höhepunkt. Nach der Kapitulation der 6.
Armee in Stalingrad eroberte die Rote Armee die besetzten Gebiete der Sowjetunion
Schritt für Schritt zurück. Damit wurde das Reservoir an russischen Arbeitern für
die deutsche Wirtschaft immer kleiner. Andererseits nahm ihr Bedarf an Rüstungsarbeitern
aber ständig zu, weil sie zum einen die Rüstungsproduktion steigerte und zum
andern die Wehrmacht zum Ausgleich ihrer enormen Verluste ständig neue Jahr-
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