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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
111.1992
Seite: 195
(PDF, 29 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1992/0197
In Niederbühl schufteten Fesevur und Hendriks unter den Schikanen der Wachen
in einem Betrieb der SS, in dem geraubte Waren aus ganz Europa gehortet und umgeschlagen
wurden, darunter kistenweise Delikatessen, die zu berühren den sicheren
Tod der ausgehungerten Häftlinge bedeutet hätte. Beim geringsten Anlaß wurden die
ohnehin erbärmlichen Essensrationen gekürzt, wurde geprügelt oder in Arrest gesteckt
. Für die Bewachung dieser Lager war die Gestapo zuständig, die die Insassen
zu ebenso harten wie sinnlosen Arbeiten zwang: etwa Steine quer über den Appellhof
in die gegenüberliegende Ecke und, wenn die Arbeit beendet schien, sie wieder zurück
zu schleppen. Als ein Mithäftling der beiden Holländer einen Fluchtversuch unternahm
, wurde er erschossen, seine Leiche auf einem Wagen in das Lager zurückgeschafft
und zur Abschreckung im Hof aufgestellt.

Im September erschien ihr ehemaliger Meister aus Offenburg und holte sie ab.
Aber damit waren die Schikanen nicht zu Ende, die Werksleitung revanchierte sich
nun ihrerseits für den Fluchtversuch: Hendriks und Fesevur mußten täglich von sieben
Uhr morgens bis neun Uhr abends als Lastenträger arbeiten, ihre Köpfe blieben
geschoren. Der Zutritt zur Kantine wurde ihnen verweigert, das Essen gekürzt, und
der Lohn praktisch gestrichen. Ohne die Solidarität ihrer Arbeitskollegen wären sie
verloren gewesen, denn sie waren von der Haft krank, geschwächt und abgemagert.
Nach Protesten, an denen sich auch ein Parteimitglied beteiligte, wurden die Sanktionen
nach einigen Wochen ausgesetzt. Mehr Glück als Hendriks und Fesevur hatten
kurz darauf zwei ihrer Stubenkameraden mit derselben Fluchtmethode: nachdem sie
in der Schweiz angekommen waren, schickten sie ihren Kameraden in Offenburg eine
Ansichtskarte, die fortan die Wand der Holländerstube schmückte.70

Flucht war der individuelle Versuch, sich der Zwangsarbeit zu entziehen. Ungleich
schwieriger und gefährlicher war es dagegen, zu bleiben und den Widerstand gegen
das NS-System zu organisieren. Trotz aller Fährnisse kam es aber immer wieder zu
Widerstandshandlungen ausländischer Arbeiter, wenn auch organisierter Widerstand
die Ausnahme blieb. Die wichtigste dieser Organisationen war die Brüderliche Vereinigung
der Kriegsgefangenen (BSW), die Offiziere der Roten Armee Ende 1942 in
einem riegsgefangenenlager in München gegründet hatten. Das Programm der
Gruppe forderte die Bewaffnung aller Ausländer in Deutschland, den gewaltsamen
Sturz des NS-Regimes, Hilfeleistung für die erwarteten alliierten Truppen und Ver-
übung von Sabotageakten. Unter den russischen Kriegsgefangenen fand die BSW bald
zahlreiche Anhänger. Durch Versetzungen und freiwillige Meldungen gelang es den
Mitgliedern, ihre Organisation über Bayern hinaus auszudehnen. Roman Petruschel,
einer der Mitbegründer, wurde im September 1943 zur Flak nach Karlsruhe versetzt
und kam wegen einer Blinddarmoperation nach wenigen Wochen nach Rastatt ins Lazarett
, wo er unter den Kriegsgefangenen und den im Lazarett beschäftigten Zivil -
arbeitern zahlreiche Mitglieder warb.

Das Rastatter Lazarett wurde zur Keimzelle der Organisation in Baden. Bald entstanden
ein Stabskommittee, dem das russische Sanitätspersonal angehörte, und außerdem
Kurier- und Anlaufstellen, die Verbindungen mit dem Stalag in Offenburg
hielten und die illegale Arbeit auf das Arbeitskommando des Flak-Regiments in
Karlsruhe ausdehnten. Dem Rastatter Ortskommittee des BSW war ein Kampfbataillon
russischer Offiziere angegliedert. Der häufige Wechsel in der Belegung des Laza-

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