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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1993/0153
Stein an Schreiber; Mosbach, 19. April 1821

Hier gefallt es mir immer mehr, obschon ich die hiesige und die Odenwälder-Men-
schenklasse immer weniger achten kann. Es giebt leider nicht viel Ausnahmen. Gegenwärtig
ist besonders die Geistlichkeit bemerkbar, weil die Religions-Vereinigung
sie in Thätigkeit setzt und lauter macht. Merkwürdig ist die beiderseitige, zum Theile
stark ausgedrückte Abneigung; merkwürdiger aber noch, daß ich noch Niemanden
eines Dogma wegen sich streiten, sondern immer nur wiederholen hörte: unsere Stiftungen
sind reicher, als die eurigen, wir verlieren zu viel u.s.w.. Ein charakteristisches
Zeichen der Zeit und dieser Herren.

Gleichen Schritt mit dieser Religionskälte und diesem Krämergeiste hält die sittliche
Verderbtheit der Geistlichen aller Confessionen. Dieselben nachts 9—10 Uhr
betrunken aus dem hiesigen Städtchen in die umliegenden Dörfer taumeln zu sehen,
fällt bald nicht mehr auf. Dabei wird sogar öffentlich in den Wirthshäusern arger
Spott getrieben. Bei Katholiken sind, schon wegen des Cölibats, die Vergehen noch
größer. Unlängst reichte ein Pfarrer mehreren Kranken das Sterbsakrament mit Oblaten
aus seinem Dintengeschirre. Ein Dekan rief bei einem feierlichen Umzüge mit
dem Venerabile, hinter diesem, einer Gesellschaft Reformirter zu: „warten Sie ein
wenig, bis ich fertig bin, dann gehe ich mit ihnen nach Haus " Soll ich Dir noch mehr
dieser und weit schlimmerer Art mittheilen?

Dabei sind die Wallfahrten nach Walddürn1 (acht Stunden hinter Mosbach im
Odenwalde) im vollsten Flor. Andächtige kommen, oft mehrere Hundert aus einigen
Gemeinden, mit der Blutfahne und den Geistlichen an der Spitze, den Schwarzwald
herunter, sogar aus der Trierer und Cölner Gegend, von allen Seiten her an den bezeichneten
Ort. Aus Mosbach selbst sah ich selbst gegen zweihundert fortziehen, darunter
von den angesehensten Bürgerstöchtern und sogar Frauen von Beamten.

Du magst hieraus ersehen, daß in religiöser Hinsicht das abergläubische Element
hier vorherrscht: das moralische dagegen zu Boden liegt. Schändlicher Eigennutz
allenthalben, wenn es sich nur um einige Gulden handelt, ist Niemand zu trauen. Immer
mehr fühle ich in diesen schönen Gegenden den Mangel offener, redlich gesinnter
Leute. Von jedem, der darüber urtheilen kann, wird der bessere sittliche Sinn unserer
Breisgauer und Schwarzwälder anerkannt.

Signatur: StadtAF, K 1/27/2, S. 92—93 Nr. 45, Abschrift. — Teilabdruck bei Strack
(wie Anm. 22) S. 453.

1 Walldürn, ehern« Amtsbezirk Buchen; Wallfahrt zum heiligen Blut. Lexikon für Theologie und Kirche

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Stein an Schreiber; Mosbach, 9. Sept. 1821

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Unterwittighausen1, dem Gehülfen der Fürsten von Hohenlohe, und von der Art zu

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