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und erhebendes Gefühl, so viel tausend Menschen um sich zu sehen und überzeugt
sein zu dürfen, daß wenigstens in diesen Stunden keine hundert davon sich unglücklich
fühlen!"
Hättest Du doch, lieber Ferdinand! dieses frohe Gefühl mit mir theilen können; es
ist etwas, was einem nur selten zu Theil wird. Solche Tage gehören einem moralischen
Frühlinge an, in dem das unter beschränkten Verhältnissen erstarrte Seelenleben
wieder aufthaut; der finsterste Bußprediger hätte unter den frohen Menschen
verstummen und zuletzt auch sich der Freude hingeben müssen. Man muß zuweilen
aus sich heraus und in ein größeres und frischeres Leben hineintauchen. Es ist eine
der besten Badkuren, hätte ich sie nur länger benutzen können.
Aber sieh! schon stand das Prüfungscommissariat wieder vor mir; ich mußte aus
dem herrlichen wenn auch mitunter etwas verwilderten englischen Garten fort, um
wieder in deutscher Schulstube eine philologische Dressur zu bewundern, welche
sich gewöhnlich umso breiter macht, je fremdartiger und mühevoller sie ist, und je
mehr sie die naturwüchsige Entwicklung unserer Jugend unter angeblich griechischer
und römischer Scheere zuzustutzen versteht.
Signatur: StadtAF, K 1/27/2, S. 195-196 Nr. 154. Abschrift.
i Vom 7. 10. Sept. 1828 weilte der französische König Karl X. (1824 1830) in Straßburg; vgl. die
Berichte der „Freiburger Zeitung" Nr. 256 vom 12. 9. und Nr. 258 vom 14. 9. 1828.
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Stein an Schreiber; Offenburg, 3. März 1830
Hier befinde ich mich, gegen Lahr gehalten, in einer ganz andern Welt. Dieß zeigte
sich am klarsten in der jüngsten Fastnachtzeit. Drei Tage lang wiederhallte der Jubel
des Volkes in jedem Winkel; alle Werkstätten blieben geschlossen, Alles lief maskirt
umher, Kinder und alte Leute, Knechte und Mägde wie Söhne, Töchter und Frauen
aus allen Bürgerklassen, ja sogar aus Familien der Beamten. Ueber den die fünf
Welttheile mit ihren Bewohnern vorstellenden Hauptzug schließe ich Dir das Programm
an. Dieser Zug, durch ein Schiff mit Negerknaben vermehrt, war wirklich
über mein Erwarten. Der Elephant mit seinem Thurme bildete eine colossale achtundzwanzig
Fuß hohe Masse. Alles war passend, ohne Knauserei durchgeführt und
wurde durch die zahlreichen vom Genius der Fastnacht begeisterten Zuschauer noch
interessanter. Ein Lehrer aus meinem frühern Amtsbezirke rief mir in der frohesten
Stimmung zu: „Glaubt man nicht, einige Tagereisen von Lahr entfernt zu sein!"
Signatur: StadtAF, K1/27/2, S. 239—240 Nr. 195. Abschrift. - Abdruck bei
Strack (wie Anm. 22) S. 459—460.
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Stein an Schreiber; Offenburg, 15. Mai 1830
Meine Hoffnung, Dich in Freiburg zu umarmen, liegt noch fern und ich muß mich
daher vor der Hand schon mit der schriftlichen Frage, wie es dem Magnificus der
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