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mit hebräischen Buchstaben zu schreiben, lag einige Jahrzehnte zurück. Allerdings
waren noch Gebetbücher im Gebrauch, welche Ubersetzung, Kommentar und liturgische
Hinweise in einer besonderen hebräischen Umschrift wiedergaben, um dadurch
den Unterschied zwischen dem Haupttext und den erläuternden Absätzen deutlich zu
machen, ohne von der prinzipiell ausschließlichen Verwendung von Hebräisch in
Druck und Satz in einem derartigen Buch Abstand nehmen zu müssen.
Im Grunde genommen waren dies recht gute Zeiten. Seit 187! bestand das Deutsche
Reich, zu dem auch Baden gehörte. Die Reichshauptstadt lag jedoch in der
Ferne. Karlsruhe war bedeutend näher, und der Großherzog regierte noch immer
über das Gebiet zwischen dem Fluß und dem Gebirge. Dieses Land, so schien es,
war mit sich zufrieden. Man konnte ruhig seines Weges gehen, ohne sich über Krieg
und Frieden und den damit verknüpften Machenschaften zu sehr den Kopf zu zerbrechen
.
So verlief auch Löbs Kindheit schön und ungestört. Da er der jüngste der Familie
war und der einzige Sohn, wurde er wohl von Eltern, Schwestern und Tanten etwas
verwöhnt. Er war ein gescheites Kind, und nach drei Jahren in der Volksschule am
Orte kam er auf das Gymnasium in Rastatt. Seine erstklassigen Zeugnisse zeigten Begabung
in allen Fächern, in Latein und Griechisch wie in Mathematik, Physik und
Chemie. Am stärksten interessierte er sich für die Naturwissenschaften, und diese
studierte er dann auch in Heidelberg, Freiburg und München mit der Absicht, sich
dem Lehrfach zu widmen. Wie es damals üblich war, trat er einer Studentenverbindung
bei. Es war eine nichtschlagende, so daß es nicht zu gewissen Vorurteilen wegen
der ^nichtarischen" Abkunft kam. Und wenn es in die Kneipe ging, so machte
Löb recht gerne mit. Auch nahm er an den mehr seriösen Tätigkeiten des Bundes teil
und knüpfte eine Reihe von ihm sehr geschätzter Freundschaften, die sich bewährten,
bis solche Beziehungen als unerwünscht zu lösen waren.
Löb absolvierte seine Semester, schnitt gut im Staatsexamen ab und wurde als Lehrer
an höheren Schulen in Baden zugelassen. Nach abgelegtem Praktikum durfte er
sich als „Herr Professor" anreden lassen.
Von Löbs drei Schwestern stand ihm Klara am nächsten. Sie war die jüngste von
ihnen, wohl auch die intelligenteste, und teilte eine Reihe seiner Interessen und Anschauungen
. Und während die beiden anderen das Elternhaus verließen, um in den
Ehestand zu treten, ging sie allein in die Welt, in die Fremde, nach Galizien, unweit
der damaligen Grenze zwischen Osterreich und Russland.
Das geschah 1901, Klara war damals 25 Jahre alt. Weshalb sie den Schutz der Familie
, die Vertraulichkeit der Heimat verließ, ist nicht klar. War dieses Unternehmen
ihr eigener Entschluß? Traf sie ihn freiwillig, ohne Druck von irgendeiner Seite? War
etwas vorgekommen, das ihr die Familie übel nahm? Hatte sie vielleicht ein Verhältnis
mit einem Herrn, der für sie aus irgendeinem Grund nicht in Frage kam, etwa
seiner gesellschaftlichen Stellung wegen oder gar, weil er nicht israelitischen Bekenntnisses
war? Oder war sie einlach des für sie langweiligen Alltags müde, war
unternehmungslustig und bereit, ihren eigenen Weg zu gehen, entschlossen, etwas zu
erreichen, welches in Malsch nicht zu erreichen war?
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