http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1993/0214
heinrich Hansjakob, Schneeballen, Erzählungen. Zweite Reihe. Illustriert von Curt Liebich
. Neu hrsg. und mit einer Einführung von Helmut Bender, Waldkircher Verlag, Waldkirch
1991. 408 S.
Ders., Schneeballen vom Bodensee. (Schneeballen, Erzählungen. Dritte Reihe). Illustriert
von Curt Liebich. Neu hrsg. und mit einer Einführung von Helmut Bender. Waldkircher Verlag
, Waldkirch 1989, 528 S.
Hansjakobs Werke sind nicht zur großen Dichtung, aber auch nicht einfach zur Trivialliteratur
seiner Zeit zu zählen. Hansjakob, von 1884 bis 1913 Stadtpfarrer von St. Martin in Freiburg,
war ein echter Volksschriftsteller, dem es ähnlich wie Johann Peter Hebel um die Aufklärung
des Volkes — vorab die seiner Landsleute — ging. Aufklärende Wirkung ging, so glaubten
beide, von einer unverfölschten und doch unterhaltend komponierten Geschichte aus. Hansjakob
erzählte seinen Zeitgenossen, die den stürmischen Wachstumsprozeß der Industriegesellschaft
an der Wende zum 20. Jahrhundert erlebten, wie die „alte Zeit" ein Jahrhundert zuvor
zu Ende gegangen war. Er tat dies, als wäre er selbst dabei gewesen, anhand von
Lebensgeschichten einfacher Menschen aus einfachen Verhältnissen seiner Heimat im Kinzigtal
sowie am Bodensee. Hansjakob schreibt gleichsam eine „Geschichte von unten" — und
eine Geschichte der Region. Seine Figuren gewinnen durch die persönliche Nähe des Autors
zu ihnen authentischen Charakter.
Die traditionelle, vorindustrielle Welt im Schwarzwald und am Bodensee wird von Hans-
jakob bei aller Mühsal und aller kantigen Härte der Einzelschicksale in vielem doch als eine
humanere Vergangenheit der eigenen Gegenwart entgegengestellt. Jenseits dieser immanenten
Kulturkritik liegt der zeitlose Wert seiner Geschichten wohl in der Vergegenwärtigung der
Erfehrungs- und Lebenswelt der Menschen in den Jahrzehnten um 1800. Hier werden bäuerliche
und kleinstädtische Lebens- und Arbeitsweisen, Mentalitäten, soziale Strukturen im
Kleinen erkennbar; sie werden von innen heraus verständlich, und sie lassen sich aber auch
(zumindest partiell) kritisch in Frage stellen. War doch Hansjakob bei aller Zuneigung zur Geschichte
und Tradition ein Vertreter aufgeschlossener Liberalität (und insofern seiner katholischen
Amtskirche eher verdächtig).
Es ist ein Verdienst der Waldkircher Verlagsanstalt und vor allem des Präsidenten der Hansjakobgesellschaft
Helmut Bender, daß mit den Bänden der „Schneeballen" originale Werkfassungen
Hansjakobs wieder zugänglich wurden und der interessierte Leser nicht auf Anthologien
beschränkt bleibt, soweit er nicht alte Ausgaben von Hansjakob besitzt oder sich
ausleihen kann. Band 2 der „Schneeballen" enthält mit dem „Vogt auf Mühlstein" die am ehesten
dramatisch komponierte Volkserzählung Hansjakobs. Mit keiner anderen Geschichte hat
er ein so großes Publikum erreicht wie mit dieser tragischen Liebesgeschichte von der schönen
Tochter des Hofbauern auf dem Mühlstein und dem Ölerjoken Hans sowie dem Hermesbur,
dem die Mühlsteinerin wider Willen angetraut wurde. Eher assoziativ sind die anderen Geschichten
des Bandes gestaltet: „Der Jaköble in der Grub" und „Der Eselsbeck von Hasle"
Der 3. Band der „Schneeballen", der dank entsprechender Förderung durch die Gemeinde
Hagnau schon 1989 erscheinen konnte, thematisiert Erinnerungen Hansjakobs an seine Zeit
als Pfarrer in Hagnau (1869—1884) bzw. an die Vor-Geschichte einzelner Dorfpersönlichkeiten
, mit denen er damals in Beziehung getreten war.
Als Historiker interessiert man sich nicht zuletzt für diejenigen Passagen, in denen Hansjakob
soziale und politische Zusammenhänge aus seiner eigenen Zeit in Erinnerung ruft,
Zeugnisse von besonderer Authentizität und Realitätsnähe. Dies scheinen mir überhaupt die
unverlierbaren Qualitäten im schriftstellerischen Werk Hansjakobs zu sein: seine historische
Authentizität und seihe konkrete Wirklichkeitsnähe. Wölfgang Hug
212
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1993/0214