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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1993/0218
kraten, dem deutschnationaler Selbstbetrug und revolutionäre „Wühlerei4* gleicherweise verhaßt
sind: „Wir retteten Deutschland vor dem Chaos" (S. 38 f). Der überzeugte Revisionist —
„so lange wie möglich auf gesetzmäßigem Wege und mit legalen Mitteln für unsere Ziele und
Ideale kämpfen" {S. 46) —, der den theoretischen Teil des Erfurter Programms ablehnt, kennt
keinen Kompromiß mit KPD und USPD, die er für die Schwächung der Arbeiterschaft verantwortlich
macht, denen er vorwirft, geradezu das Geschäft der Reaktion zu besorgen.

Breiter Raum ist Englers kommunalpolitischer Tätigkeit in Freiburg eingeräumt, wo er als
Stadtrat, als Geschäftsführer der Milchversorgung und Promotor des kommunalen Wohnungsbaus
im Bau verein und in der Baugenossenschaft Gartenstadt große Verdienste erwarb. Gerade
der letztere Bereich ist für den heutigen Leser von fast beklemmender Aktualität: „Ich habe
beobachtet, wie manche Familie rasch auf der sozialen Stufenleiter heruntersank, wenn sie
keine Wohnung hatte .. " (S. 90). Hervorzuheben ist auch seine positive Beurteilung Otto
Winterers, der als Nationalliberaler eigentlich sein politischer Gegner ist. Auf dem Hintergrund
seiner kommunalpolitischen Erfolge kann er seine Ernennung zum badischen Arbeits™
minister als einen Dienst an der Partei darstellen und mit Stolz vermerken, daß er der erste
Ehrendoktor der Freiburger Universität wurde, der „nur Volksschulbildung hatte". Englers
Wirken als Minister und später als Präsident des Gewerbeaufsichtsamts bietet eine Fülle von
Anschauungsmaterial zur Sozialgeschichte der Weimarer Republik, zum Schlichtungswesen,
zur Arbeitslosenversicherung, zum Betriebsrätegesetz, zur Elektrifizierung und zur Gründung
des Badenwerks; der allgemeine politische Rahmen wird dabei nicht ausgespart, so vor allem
die eindringliche Schilderung des Jahres 1923.

Unter den politischen Gegnern wird vor allem Joseph Wirth, mit dem Engler schon seit den
Freiburger Jahren bekannt war, positiv gewürdigt. Zwiespältig ist dagegen das Urteil über
Stresemann, dessen national orientierte Politik scharf kritisiert (S, 178), dem aber nach seinem
Tode bescheinigt wird, daß „manches vielleicht anders gekommen wäre" wenn er am Leben
geblieben wäre. Widersprüchlich ist auch Englers Haltung gegenüber Hindenburg, dessen angebliche
Verfassungstreue er einerseits hervorhebt (S. 176), für dessen Wiederwahl er sich
1932 einsetzt, um schließlich doch zu bezweifeln, daß „alle Handlungen Hindenburgs in der
Ubergangszeit mit dem Sinn und Wortlaut der Reichsverfassung im Einklang standen"
(S. 220), Eindeutig dagegen sein Urteil über Brüning: „Wegbereiter für die Diktatur" (S. 204).
Englers Sicht der Auflösungsphase der Weimarer Republik, die er als Präsident des Hessischen
Arbeitsamts erlebte und kommentierte, bietet zwar keine grundsätzlich neuen Erkenntnisse
, aber doch das klarsichtige und illusionslose Urteil des engagierten Zeitgenossen über
die Angriffe der Rechtskräfte, die Schwäche der „Demokratie ohne Demokraten". Alles in
allem: eine interessante, trotz der gelegentlich hölzernen Sprache, trotz des Fehlens einer
straffen Gedankenführung fesselnde Lektüre. Herbert Kraume

jacob Picard, Werke. Hg. von Manfred Bosch, 2 Bände. Ekkehard Faude Verlag, Konstanz
1991. 294 und 320 S., zahlr. Abb.

Jacob Picard ist „die literarische Stimme des deutschen Landjudentums", schreiben Manfred
Bosch und Jost Grosspietsch in ihrem Vorwort zu einem Ausstellungskatalog (Jacob Picard.
1883—1967. Dichter des deutschen Landjudentums. Hg. vom Kulturamt der Stadt Freiburg
i. Br, (— Literarische Topographie 3) Freiburg 1992, S. 6). In seinen Erzählungen gestaltet er
das Leben in den jüdischen Gemeinden der alemannischen Region vor allem während des späten
18. und des 19» Jahrhunderts, Für ihn waren diese Juden „wahrhaft frei", weil sie jüdisch
sein und sich doch — anders als die ebenfalls ihr Judentum betonenden Ostjuden — mit den
Christen gesellschaftlich mischen konnten (ebd., S, 44 in einem Brief vom 13. Oktober 1946:
vgl. Werke Bd. 2, S, 247^252), Dieses Jüdischsein hat Picard, der 1883 in Wangen am Bodensee
geboren wurde, selbst noch in seiner Kindheit erlebt und in seiner „Erinnerung eigenen

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