http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1996/0015
Wie verhält es sich mit dem bereits behandelten Jahr 1480? Walchner behauptet,
„weil auch dieses Jahr eine ansteckende Seuche sich zeigte, so wurde die Sebastian-
Brüderschaft errichtet."24 Diese Feststellung wird durch keine der zur Verfügung
stehenden Quellen bestätigt:25 Weder das Protokollbuch des Augustinerklosters -
das ansonsten ausgesprochen häufig über Pestfälle berichtet — noch die sattlersche
Chronik erwähnen eine Seuche für das Jahr 1480. Interessanterweise widmet sich das
Ratsprotokoll jenes Jahres einer anderen Naturkatastrophe ausführlich — einer ver-
heerenden Überschwemmung26 —, die auch andere Quellen bestätigen.27 Von einer
Pest ist jedoch in den Ratsprotokollen dieses Jahres keine Rede. Auch die Chronik
des Klosters der Zisterzienserinnen in Günterstal weiß für 1480 nichts von einer Pest
zu berichten.28 1492 schließlich war erneut der reichlich dokumentierte Fall eingetreten
, daß Studenten Freiburg verließen, um dem Wüten der Pest zu entgehen, so
daß sich die Universität wiederum gezwungen sah, Regelungen für die andernorts
unter der Leitung eines Freiburger Magisters Studierenden zu finden.29
Neben der Schilderung bei Hans von Waltheym finden wir einen weiteren Augenzeugenbericht
für einen späteren Seuchenzug bei Ulrich Zasius: Seit 1506 Professor
der juristischen Fakultät, war er einer der wenigen, die sich nicht an die Devise „cito,
longe, tarde"30 hielten und 1519 in einem ersten Brief vom 1. September dem jungen
Dichter Philipp Engelbrecht (Engentinus) die Lage in der von der Pest erfaßten Breisgaustadt
schilderte — eine Beschreibung, die als Quelle zur Illustration des
Schreckens der Seuche kaum Wünsche übrig läßt: Sie nennt ein absolutes Datum und
eine Mortalitätsrate, und sie findet für die Verzweiflung der Menschen die sprechende
Formel „Fatigamus templa et aras supplicationibus, litaniis, officiis deum pla-
care pergimus."31 Auch seine weiteren Briefe an verschiedene Empfänger,32 die sich
bis zum Januar 1520 der Pest widmen, tragen zu einem abgerundeten Bild eines bedeutenden
Humanisten33 bei, der sich nach dem Verlust der Gattin und der Erkrankung
zweier Töchter ganz selbstverständlich in die überlieferten, seit dem 14. Jahrhundert
kaum modifizierten Heils- und Heilungsangebote der Kirche34 und der
Medizin35 begibt. Hier nähern wir uns Boccaccio mit seinen Zeit- und Leidensgenossen
, Zeitzeugen eines für das europäische Bewußtsein entscheidenden Erlebnisses
. Wir nähern uns auch dem überzeitlichen Phänomen des Menschen in der Katastrophe
, das seine Faszination nicht verliert.
Für die beiden vorangehenden Jahrhunderte fehlen nicht nur derart sprechende und
lebendige Quellen, auch die bisher ausgewerteten dokumentarischen Quellen — Verhörprotokoll
von 1349 und Universitätsakten — erlauben keine weitreichenden
Schlußfolgerungen: Nach ihrer Revision bleiben — neben einer hohen Wahrscheinlichkeit
des Schwarzen Todes 1349 — als sichere Pestjahre allein 1474 und 1492. 1477
und 1480 sind aus Mayers Liste als nicht gesichert zu streichen.
Zufallsfunde im Zusammenhang mit einer Arbeit zur um 1480 entstandenen Sebastiansbruderschaft36
führten zu einer gewissen Erweiterung der Quellenbasis und zu
einigen neuen Ergebnissen: Das Protokollbuch der Augustiner-Eremiten, das Totenbuch
des Barfüßerklosters und die Sattlersche Chronik lassen 1382/83 als Pestjahr
wahrscheinlich werden und sprechen mit Sicherheit für 1427 und 1464. Wünschenswert
für die Zukunft wäre die Erschließung, zumindest aber die Beachtung weiterer
Quellen — sei es, um die bisherigen Ergebnisse abzustützen, oder um durch neue
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