http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1996/0053
3. Neue Anhaltspunkte
Nachdem sich die hier in gebotener Kürze skizzierten Pfade als Irrwege erwiesen
hatten, lenkten mehrere unscheinbar plazierte Hinweise die Suche in neue Bahnen:
Die systematische Durchsicht zahlreicher verstreut publizierter kleinerer Beiträge
zur Merdinger Ortsgeschichte führte schließlich zu einem von Hermann Brommer
in den Jahren 1962/63 und 1979 veröffentlichten mehrteiligen Aufsatz, der Leben und
Werk des aus Merdingen stammenden Barockbildhauers Johann Baptist Sellinger
(1714—1779) behandelt.32 Der zweite Teil dieser grundlegenden Arbeit ist Sellingers
künstlerischem Gesamtwerk gewidmet. Im Rahmen einer kunstgeschichtlichen Gesamtwürdigung
kommt Brommer auf eine Immaculata-Statue zu sprechen* die den
Seitenaltar der Lehener Pfarrkirche schmückt und aufgrund stilistischer Kriterien
dem Spätwerk Johann Baptist Sellingers zugeordnet werden kann.33 Wie der Verfasser
im Anschluß an die Beschreibung der Statue anmerkt, bleibt ungewiß, wie
der Künstler an seinen Auftrag gelangte,34 so daß offenbleiben muß, ob und wie
Sellinger mit Personen und Institutionen dieses Ortes in Verbindung gestanden haben
könnte. Immerhin konnte Brommer einige wenige Indizien ins Feld führen, die auf
Beziehungen zwischen dem Bildhauer und einzelnen Personen, die aus Lehen
stammten bzw. Verwandte in Lehen hatten, hindeuten.35 Eines dieser Indizien fand
in Form einer schlichten Notiz Aufnahme in den Argumentationszusammenhang:
Wie Lore Noack-Heuck dem Verfasser am 29. Mai 1961 mitgeteilt hatte, verrechnete
der Merdinger Sonnenwirt Franz Seelinger jährlich Bodenzinsen mit der Pfarrei
Lehen.36
Im Anschluß an die Besprechung der Lehener Immaculata kommt Brommer nun
auf eine im Depot des Freiburger Augustinermuseums verwahrte Annaselbdritt zu
sprechen, die aus Merdingen stammt und aufgrund stilistischer Merkmale zunächst
wiederum Johann Bapist Sellinger zugeschrieben wurde, inzwischen aber als Werk
des gleichfalls aus Merdingen stammenden Bildhauers Dominikus Scherer (1738 bis
1810) gelten darf.37 Was die Provenienz des Kunstwerks betrifft, präzisiert Brommer
wie folgt: „Bis zum Jahre 1910 stand die Holzskulptur auf dem Speicher des Merdinger
Hauses Stockbrunnengasse 12L Die Durchforschung der Kirchenbücher ergab,
daß die Hauseigentümer von einem Ehepaar Anton Bintz und Catharina Seelinger,
Tochter des Sonnenwirtes Franz Seelinger herstammen"38 Uberraschenderweise
fand sich im gleichen Haus aber auch eine Archivalie, die mit dem hier zur Diskussion
stehenden Aktenkonvolut in enger Beziehung zu stehen scheint. Es handelt sich
hierbei um ein für die Jahre 1760 bis 1764 geführtes Zinseinzugsregister, das auf dem
Umschlag die Angaben Register \ über Lehen Und Bezenhausszen, auf foi. lr die zusätzlichen
Titelangaben Einzugs Register \ deren Frucht- geld- und Hüener \ gefäll
zu Lehen und Bezenhaußen enthält.39
Was die beiden Funde — Sellingers Annaselbdritt und das Zinseinzugsregister unbekannter
Provenienz — verbindet* ist eine im Verlauf unserer Spurensuche immer
deutlicher hervortretende Beziehung zwischen Lehen/Betzenhausen und einzelnen
Angehörigen der offenbar weitverzweigten Merdinger Sippe der Seiinger, Und in der
Tat brachten die wenigen Indizien, die in Richtung dieser Familie deuteten, schließlich
die Lösung des Rätsels.
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