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schwung genommen, im Parlament bis zur zweitstärksten Partei. Im Wahljahr 1909,
zu Zeiten ihres Parteichefs Theodor Wacker, fand in der Parteipresse des Zentrums
der Karlismus wohlwollende Beachtung, waren doch die beiderseitigen politischen
Ziele nicht eben unähnlich. Vorsichtige konfessionelle und politische Toleranz reichte
schließlich bis zu örtlicher Wahlhilfe. Davon wird später die Rede sein.
Als Absplitterung von der Nationalliberalen Partei war 1884 die linksliberale
„Freisinnige Volkspartei" gegründet worden, die sich zu „Wahl- und Fraktionsgemeinschaft
" mit der ebenfalls links orientierten „Demokratischen Volkspartei" verband
. Diese war ab 1863 lediglich in Baden, Württemberg und Bayern vertreten,
knüpfte an die „Achtundvierziger" (Hecker und Struve) an12 und hieß später „Deutsche
Volkspartei."
Im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts formierte sich in der Parteienlandschaft
der traditionellen Altparteien im Lande mit dem Erwachen politisch-sozialer Verantwortung
auf gesamtdeutscher Basis eine neue politische Kraft:
b) Die Arbeiterbewegung in Deutschland
Im Kaiserreich war das wirtschaftlich erfolgreiche Bürgertum, neben dem Militär,
dem Adel und dem Großgrundbesitz, unter die klassischen Träger gesellschaftlicher
und politischer Macht getreten. Von daher ergaben sich im Zeitalter der Industrialisierung
zwangsläufig Tendenzen einer oppositionellen Arbeiterbewegung, die ausgehend
von der bedrängten ökonomisch-sozialen Situation der Arbeiterschaft recht
schnell zu staatspolitischen Zielen hin drängten. Diese konnten nach Lage der Dinge
nur in Richtung „Mitbestimmung" bei Lohn- und Arbeitsbedingungen und eben auch
antimonarchistisch sein.
Schon 1868, im Gründungsjahr der „Allgemeinen deutschen Arbeiterpartei" lassal-
leanischer Prägung, waren in Mannheim die ersten „Mitgliedschaften" zu verzeichnen
. Nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 nannte man sich „Sozialistische
Arbeiterpartei" (SAP), die Stützpunkte auch in anderen badischen Städten, von
Mannheim über Karlsruhe, Pforzheim, Offenburg, Freiburg und Lörrach hatte. Bei
den Reichstagswahlen 1877 errang die SAP 9,1 % der abgegebenen Stimmen. Zwei
Attentate auf Kaiser Wilhelm I. im Jahre 1878, die der sozialdemokratischen Bewegung
angelastet wurden, führten im Oktober 1878 zu Bismarcks Reichsgesetz „gegen
die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie". Diese Entwicklung verdrängte
naturgemäß den Parteiaufbau samt allen sozialdemokratischen Aktivitäten in
den Untergrund. Noch vor Erlaß des oben angeführten „Sozialistengesetzes" erfolgte
in diesen Zusammenhängen ein spektakulärer politischer Akt vorauseilenden badischen
Gehorsams gegenüber der Reichsgesetzgebung, wofür das Großherzog!ich»ba-
dische Innenministerium v. Stösser die Verantwortung trug: es ging mit, heute würde
man sagen, Staats- und Verfassungsschutz-Maßnahmen gegen die badischen Sozialdemokraten
vor.13 Ansonsten wurde die Sozialistengesetzgebung des Reiches im
deutschen Südwesten hernach liberaler gehandhabt als im erzkonservativen Preußen.
Als die Sozialistengesetzgebung 1890 im Reichstag die parlamentarische Mehrheit
verlor und nicht mehr verlängert wurde, formierte sich auch die badische Arbeiterbewegung
unverzüglich neu; noch im November 1890 wurde in Offenburg die badische
Landesorganisation als „Sozialdemokratische Partei" gegründet. Bei der Landtags-
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