http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1996/0192
Die Position der Karlisten im Pärteiengefüge stellte sich so dar; wo man von ihnen
Notiz nahm, durften sie landesweit mit wohlwollender „Waffenbrüderschaft" der
Zentrumspartei unter Führung des Geistl. Rats Theodor Wacker, des „Löwen von
Zähringen", rechnen. In Freiburg wurden sie unter den konservativen Gruppen allenfalls
vom Reichsparteilichen Verein des Prof. Georg v. Below immerhin immer wieder
verbal unterstützt und dies trotz anderslautender örtlicher (später zur Disposition
gestellter) Wahlempfehlung,75 Das gehört in das Kapitel der Kuriositäten der vom
neuen Wahlgesetz angebotenen wahltaktischen Möglichkeiten.
Im Wahlkreis Schwetzingen standen die Dinge für den Kandidaten Karl — trotz Gegenwind
aus der Reichspolitik — hoffnungsvoll. Schon frühzeitig hatten sich „...
Handwerker, Arbeiter, Gewerbetreibende und insbesondere die evangelischen Pfarrer
aus allen Ortschaften des Wahlkreises einmütig gegen ein Zusammengehen mit den
Nationalliberalen ausgesprochen.76 Insofern durfte Karl dort als „ernstzunehmender
Wahlbewerber mit sehr guten Aussichten" gelten.77 Die wiederholt bekundete Wahlunterstützung
durch das Zentrum zeitigte — nicht ohne Pathos — in der entscheidenden
Phase des Wahlkampfes Aufrufe wie: „Wer zu Fürst und Vaterland hält, wählt
im Wahlkreis 56 (Schwetzingen) Pfarrer Karl von Freiburg!"78 Insbesondere in der
Kurpfalz konnte sich Karl auf einen Kreis entschlossen zu ihm stehender evangelischer
Wahlhelfer stützen; auch die dort meist gelesene kirchliche Presse war ihm gewogen
.
Auf der anderen Seite hörte sich die an Schärfe zunehmende Wahlpropaganda in
Freiburg so an: „. .. der politische Ultramontanismus schickt sich unter Assistenz
eines entarteten Konservativismus an, in unserem Lande eine politisch-kulturelle Gewaltherrschaft
aufzurichten."79 Am Tage vor der Hauptwahl erschien im selben
Sinne ein ganzseitiger Zeitungsaufruf des liberalen Blocks gegen das Zentrum, „die
volks- und kulturfeindliche Partei": „Der Feind im Land" — „An die Gewehre" ~—
„Wählt liberal!"80
Die Hauptwahl (L Wahlgang) am Donnerstag, 21. Oktober 1909, brachte folgendes
Ergebnis:
Auf Landesebene waren von den 73 Mandaten der IL Kammer nur 38 (mit absoluter
Stimmenmehrheit) vergeben worden; somit stand in 35 Wahlkreisen die Stichwahl
zwischen den bestplazierten Kandidaten heran, derer also, die mindestens 15 % der
abgegebenen gültigen Stimmen auf sich vereinigen konnten. Dies traf auch im Wahlkreis
Schwetzingen zu.
Es hatten dort erhalten:
Sozialdemokraten: 1975 Stimmen für Jakob Kahn, Expedient*
Konservative: 1686 Stimmen für Wilhelm A, Karl, Pfarrer,
Nationalliberale: 694 Stimmen für Paul Klein, Pfarrer,
Demokraten: 645 Stimmen für Wilhelm Ihrig, Hauptlehrer.
Kahn und Karl kamen somit in die Stichwahl, Termin dafür war der 30. Oktober
1909. Zentrumswähler hatten Karl unterstützt, zahlreiche Nationalliberale hatten offenbar
— in wenig fairer Weise ihrem eigenen Kandidaten Klein gegenüber — schon
vor Erneuerung des Großblocks Kahn gewählt.81
Nun setzte für 10 Tage landesweit noch einmal eine heftige, alles bisherige überbietende
, leidenschaftlich geführte Wahlkampagne ein. Das herausragende Ereignis die-
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