http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1996/0212
(RGBl. 1939 I, S. 1658) ermöglichte, nun jedes Vergehen vor ein Sondergericht zu
bringen, wenn „durch die Tat die öffentliche Ordnung und Sicherheit besonders
schwer gefährdet wurde".11
Das Kriegssonderstrafrecht
Mit der Entfesselung des Weltkrieges fielen nun auch in Hinsicht auf Strafrecht und
Strafverschärfung die letzten Schranken. Innerhalb weniger Wochen wurde ein ganzes
Paket von neuen Strafvorschriften herausgebracht, der Einfachheit halber in Form
von Verordnungen. Nachfolgend werden nur die wichtigsten, die in Kraft traten, aufgeführt
:
Bereits am 17. August 1938 wurde die „Kriegssonderstrafrechtsverordnung"
(KSSVO) beschlossen, die unter anderem Wehrkraftzersetzung, Wehrdienstentziehung
und Selbstverstümmelung unter Todesstrafe stellte. Erst wenige Tage vor
Kriegsbeginn wird sie im Reichsgesetzblatt veröffentlicht (RGBL 1939 I, S. 1455).
Am 1. September 1939 wurde die „Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen
" (RGBl. 1939 I, S* 1683) erlassen — am 7. September in Kraft getreten
—, nach der das Hören ausländischer Sender mit Zuchthaus, in schweren Fällen mit
der Todesstrafe, zu ahnden war.
Am 4. September 1939 folgte die „Kriegswirtschaftsverordnung" (RGBl. 1939 I,
S. 1609), nach der sogenannte Schwarzschlachtungen, Lebensmittelkartenbetrügereien
und ähnliche Delikte bestraft werden sollten.
Einen Tag später, am 5, September, erging die berüchtigte „Verordnung gegen
Volksschädlinge" (RGBl. 1939 I, S. 1679): Nach ihr konnten auch Eigentumsdelikte
strafverschärfend — bis zur Verhängung der Todesstrafe — beurteilt werden, wenn
die Tat „unter Ausnutzung des Kriegszustandes" (z. B. Verdunkelung) begangen oder
das „gesunde Volksempfinden" dies „erfordere".
Einen Monat später, am 4. Oktober 1939, wurde die „Verordnung zum Schutz gegen
jugendliche Schwerverbrecher" (RGBl. I, S. 2000) verkündet, nach der auch
gegen erst 16jährige Straftäter die Todesstrafe ausgesprochen werden konnte.
Am 5. Dezember 1939 kam dann noch die „Verordnung gegen Gewaltverbrecher"
(RGBL 1939 I, S. 2378) hinzu, deren Paragraphen sich geradezu als Aufforderung
zur Verhängung der Todesstrafe lesen.
Wie bei der Verordnung gegen jugendliche Schwerverbrecher bestand die besondere
juristische Perversion darin, daß die Verordnung auch auf Taten angewandt werden
konnte, die vor deren Inkrafttreten begangen wurden. Damit wurden die zentralen
Grundsätze jeden zivilisierten Rechts „nulla poena sine lege" (Keine Strafe ohne
Gesetz) und „nullum crimen sine lege" (Kein Verbrechen ohne Gesetz) endgültig beseitigt
. Im Grunde genommen waren diese Grundsätze bereits 1935 durch das „Ge-
setz zur Änderung des Strafgesetzbuchs" (RGBL 19351, S. 839) aufgehoben worden.
Gemäß diesem Änderungsgesetz konnte auch eine Tat bestraft werden, „die nach dem
Grundgedanken eines Strafgesetzes und nach dem gesunden Volksempfinden Bestrafung
verdient". Und: „Findet auf die Tat kein bestimmtes Strafgesetz unmittelbar Anwendung
, so wird die Tat nach dem Gesetz bestraft, dessen Grundgedanke auf sie
am besten zutrifft."
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