http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1996/0213
Wie weit sich die Rechtsvorstellungen des NS-Regimes vom Rechtsempfinden eines
zivilisierten Staates entfernen sollten, zeigt mit bedrückender Deutlichkeit die „Verordnung
über die Strafrechtspflege gegen Polen und Juden in den eingegliederten Ostgebieten
. Vom 4. Dezember 1941" (RGBl. 1941 I, S. 759). Nach dieser sogenannten
„Polenstrafrechtsverordnung" können Angeklagte mit dem Tode bestraft werden,
wenn sie „deutschfeindliche Äußerungen machen oder öffentliche Anschläge deutscher
Behörden oder Dienststellen abreißen oder beschädigen". Weitere Stellen der
Verordnung enthalten ähnliche Freibriefe zur Verhängung der Todesstrafe: „Auch da,
wo das Gesetz Todesstrafe nicht vorsieht, wird sie verhängt, wenn die Tat von besonders
niedriger Gesinnung zeugt oder aus anderen Gründen besonders schwer ist." 12
Die mit Kriegsbeginn erlassenen Verordnungen sorgten für einen entsprechenden
Arbeitsanfall. In Hamburg beispielsweise erhöhte sich der Anteil der Sondergerichtsbarkeit
an der Rechtsprechung von 16 Prozent in den Jahren 1936 bis 1939 auf 49 Prozent
in den nachfolgenden vier Kriegsjabren. 1943 wurden bereits 73 Prozent der Urteile
durch das Sondergericht gefällt.13 Auf die Verfahrenshäufung wurde mit der
Zuständigkeitsverordnung vom 2L Februar 1940 (RGBl. 1940 I, S. 405) reagiert. In
ihr war die Errichtung weiterer Sondergerichte vorgesehen, die im Prinzip schon
nach der Vereinfachungsverordnung vom 1. September 1939 (RGBl. 1939 I, S. 1658)
möglich gewesen wäre. Das Sondergericht beim Landgericht Freiburg war eines dieser
neuen Gerichte.
Im März 1940 bestanden 55 Sondergerichte, ihre Zahl hatte sich damit seit 1933
verdoppelt.14 Allein im annektierten Osterreich, jetzt „Ostmark" genannt, wurden
11 Sondergerichte errichtet.15 Im Februar 1941 betrug die Anzahl 63,16 stieg bis 1942
auf 7417 und erreichte eine Gesamtzahl von 92 im Reich und den annektierten Gebieten
.18
Neben der Erhöhung der Anzahl der Sondergerichte wurde auch eine Beschleunigung
der Verfahren angestrebt. War die Ladungsfrist bereits auf 24 Stunden herabgesetzt
worden, so sollte die Aburteilung nach Möglichkeit sofort und ohne Abhaltung
von Fristen erfolgen. Die Absicht war, die Sondergerichte zu Schnell- oder Standgerichten
zu machen.19
Zur Vereinheitlichung der Rechtsprechung im Bereich der Sondergerichtsbarkeit
wurde bereits 1939 ein spezielles Referat für Sondergerichtssachen im Reichsjustizministerium
eingerichtet,20 Nach der Reichstagsrede Hitlers vom 26. April 1942, in
der er bezugnehmend auf ein Urteil des Landgerichts Oldenburg scharfe Kritik an
der Justiz übte, wurde die Lenkung der Justiz verstärkt. Der im August 1942 neu
ernannte Reichsjustizminister Thierack, zuvor Präsident des Volksgerichtshofs und
erklärter Nationalsozialist, führte ab Oktober 1942 eine neue Form der Justizlenkung
ein: die „Richterbriefe", In den an alle Richter verschickten Briefen wurden anonymisierte
Urteile aus allen Bereichen vorgestellt, vom Reichsjustizministerium kommentiert
, und so den Richtern verdeutlicht, wie sie künftig zu urteilen hätten. Thierack
verband damit die Überzeugung, „daß die Richterbriefe wesentlich zu einer einheitlichen
Ausrichtung der Rechtsprechung in nationalsozialistischem Sinne beitragen
werden".21
Eine weitere Form der Justizlenkung wurde am 13. Oktober 1942 reichsweit übernommen
: die „Vor- und Nachschau". Diese Idee ging auf den Hamburger Oberlan-
211
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1996/0213