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Kroeschell/Maurer - Gesetzgebung und Rechtsprechung
der König einen laufenden Streit an sein „Königsgericht
", eine Handlung, die nach 1555 den höchsten
Reichsgerichten im Verhältnis zueinander mit
dem Verbot der Evokation unmöglich gemacht
worden ist.74 Berücksichtigt man, daß auch der König
in seinen Geschäften Vertreter berufen kann,
so ist denkbar, daß auf dem Freiburger Reichstag
der Mainzer Kurfürst nicht als Vorsitzender des
Reichstags, sondern als Vertreter des Königs agiert.
Tatsächlich hat der König in der Vorgeschichte des
„Wormser Handels" zunächst selbst verhandelt und
dann seinen Kanzler, den Kurfürsten von Mainz mit
der Weiterführung der Verhandlungen betraut.75
Eine eingehende Betrachtung der Reichstagsakten
bringt ferner zutage, daß unter dem Vorsitz des
Mainzer Kurfürsten als Vertreter des Königs auch
nicht das Corpus „Reichstag" verhandelt. An einer
Stelle werden nämlich unter der Uberschrift „Verhandlungen
des Reichstags" einzelne kurfürstliche
Botschaften, Fürsten, Bischöfe und Reichsstädte
aufgezählt, die in der Weißenburgischen Sache „gesessen
" seien.76 Es sitzen hier also wie beim Königsgericht
einige der Ersten des Reichs zu Gericht, die
gleichzeitig Vertreter auf dem Reichstag waren und
dort zu Verhandlungen gut zusammenkommen
konnten.
Zuletzt stellt sich die Frage, weshalb Vertreter
des Reichstags hier überhaupt rechtsprechend tätig
wurden, wenn es einen eher königstreuen
Reichshofrat und ein eher nach ständischen Vorstellungen
besetztes Reichskammergericht schon
gab. Allerdings hielt die Existenz des Reichshofgerichts
schon früher den König nicht ab, parallel
oder im Anschluß an einzelne Verfahren mit anderen
Räten zu Gericht zu sitzen.77 Zur Zeit des Freiburger
Reichstags war einige Unruhe in die Organisation
der höchsten Gerichtsbarkeit im Reich
gekommen. Das früher vom König besetzte Kammergericht
war durch ein nach ständischen Vorstellungen
besetztes Reichskammergericht abgelöst
worden. Dieses Gericht war freilich in seinem Wirkungskreis
beschränkt durch die anhaltende Geldknappheit
, die wegen der schlechten Besoldung zu
einer Unterbesetzung führte. Weiterhin war eine der
wichtigsten Errungenschaften der Reichsreform,
der feste Sitz des Gerichts, vom König immer noch
nicht ganz akzeptiert worden.78 Vorstellbar wäre,
daß der Reichstag mit einer Wiederbelebung des
alten Königsgerichts eine gerichtliche Funktion
ausüben wollte, die das neu organisierte Reichskammergericht
in dieser Form noch nicht leisten konnte
. Denkbar ist auch, daß sich die Parteien von einer
Rechtsprechung durch den König und einige
Fürsten ein wirksameres Mittel zur Durchsetzung
ihrer Ansprüche versprachen als von dem mit seinen
eigenen Problemen ausgelasteten Reichskammergericht
. Etwas verwunderlich ist, daß der
Reichstag nicht auf einem Tätigwerden des von ihm
in der Reichsreform geforderten neuen Reichskammergerichts
bestand. Vermutlich sahen auch die
Fürsten die Startschwierigkeiten des Reichskammergerichts
und versprachen sich von der Art der
Rechtsprechung einen guten Einfluß auf dessen
Entwicklung. Immerhin wurde ja ein Großteil der
Verhandlungen in Abwesenheit des Königs geführt,
so daß faktisch die Stände einen nicht unerheblichen
Einfluß auf die Rechtsprechung behielten.
Wie lange der Reichstag in dieser Form noch
neben dem Reichskammergericht aktiv war, ist nicht
ohne weiteres festzustellen. Die Akten des Reichstags
sind nur teilweise und nur bis 1529 ediert. Auf
den folgenden Reichstagen lassen sich noch ähnliche
Aktivitäten erkennen. Aus den Reichsabschieden
wird man keine Auskunft über die rechtsprechende
Tätigkeit des Reichstags bekommen
können, da sich diese ja gerade dort nicht niederschlug
. Es läßt sich vermuten, daß die rechtsprechenden
Aktivitäten mit der Stabilisierung von
Reichskammergericht und Reichshofrat im Lauf der
ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts einschliefen.
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