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Walter Salmen - Das Freiburger „Tantzhus"
allein dem Zwecke der Verwaltung, des Handels
oder der Rechtsprechung zu genügen, sondern auch
für Festlichkeiten vornehmlich der Oberschichten
zur Verfügung zu stehen. In Köln wurde 1135 dem
Rathaus die Bestimmung gegeben: „domus in quam
cives conveniunt", „Haus, in dem die Bürger zusammenkommen
". Dieser Zwecksetzung paßten
die Baumeister den Raumbedarf an. Der im Kölner
Rathaus eingebaute „Hansesaal" etwa hatte um
1360 die Ausmaße von 28,7 x 9,7 x 7,25 Metern und
ließ sich somit für größere Reigenformationen benutzen
oder auch für die vor zahlreichen Zuschauern
vorgeführten Paartänze.6 Im Rathaus zu Dortmund
gab es neben einem Weinkeller, der Gerichtslaube
und einer Tuchhalle im ersten Obergeschoß
bereits im 13. Jahrhundert einen mehr als 30 Meter
langen, zweischiffigen Saal. In Wasserburg am Inn
erstreckte sich der Rathaussaal von 1459 über 27 x
13 Meter bei einer Höhe von 7,5 Metern. Dieser
war bis vor 1874 mit einem Balkon für die Musiker
ausgestattet (Abb. 3). Dies trifft ebenfalls zu für den
1474 im Rathaus zu München eingerichteten und
von Erasmus Grasser mit Figuren von Morisken-
tänzern ausgeschmückten großen Festsaal, dessen
Inneres anläßlich des Fürstentanzes von 1568 durch
Nikolaus Solis dokumentarisch festgehalten worden
ist (Abb. 4).
Einen überaus prunkvoll ausgestatteten, in Holz
gedeckten und stützenlos gebauten „Fürstensaal"
mit den Maßen 34 x 10 Meter findet man auch im
Rathaus zu Lüneburg,7 das in den Quellen häufig
als „dantzhus" erwähnt wird. Diese Doppelfunktion
klingt an, wenn man während des 15. Jahrhunderts
in Leipzig (Saalmaße: 43,5 x 12 Meter),
Breslau, Frankfurt am Main, Goslar oder in Nürnberg
„uffs Rathaus tanzen" ging, wo sich 1491 auch
König Maximilian I. gern an „Bürgertänzen" beteiligte
.8
In wirtschaftlich prosperierenden Gemeinden,
wie etwa der Hansestadt Lübeck, genügten die im
14. Jahrhundert oft kleiner disponierten Rathäuser
weder dem zunehmenden Repräsentationsbedürfnis
der Magistrate und der Patrizier, noch den entwickelteren
Choreographien der Tänze. Als ersten
Schritt aus den zu eng gewordenen Räumlichkeiten
ließ man Erweiterungsbauten anbringen. In Lübeck
entstand neben dem Bürgersaal bereits vor
1400 südlich angefügt ein 30 Meter langes
„dantzelhus" mit einem stützenlosen hölzernen
Tonnengewölbe. Andernorts vollzog man einen
weiteren Schritt zur Verbesserung der Bedingungen
für öffentliche Tänze, indem man die Tanzböden
von den Rathäusern trennte. In Fortsetzung
der um 1349 zumeist zerstörten Tanzhäuser der
jüdischen Minderheiten leistete man sich fortan
verselbständigte rechteckige Saalgeschoßbauten, die
multifunktional eingerichtet als Kauf- und Tanzhaus
(zum Beispiel um 1390 in Feldkirch/Vorarlberg
), als „Wanthus" (Hildesheim), Spielhaus
(Halberstadt, Mainz, Darmstadt), Wein- oder Brothaus
benutzbar waren.
Ein sogenanntes Brothaus entstand zwischen
1442 und 1444 am Marktplatz (Nr. 15) gegenüber
dem Rathaus in Nördlingen.9 In dieser damals vielbesuchten
Messestadt gab es bemerkenswerterweise
keine Zunfthäuser, jedoch Gebäude in städtischem
Eigentum, in denen die Handwerker zum Verkauf
ihrer Waren besondere Nutzungsrechte eingeräumt
bekamen. Das Brothaus gehörte dazu und war im
Unterschied zu der städtischen Fleischbank und
Abb. 3 Rathaussaal
in Wasserburg, 1459,
vor dem Brand von 18/4.
Bleistiftzeichnung.
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