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Abb. 8 Wie die Nürnberger
„frawen zum thanz gand", 1500.
Albrecht Dürer, Federzeichnung
koloriert.
Wandel in der Tanzpraxis. Die Gruppentänze im
Kreis oder in der Reihe wurden nämlich um 1495
abgelöst durch die nach den Regeln der
,ars
saltatoria" aus Italien kommenden Paartänze, die
sich fortan mehr zur Darstellung von Individuen
beiderlei Geschlechts eigneten. Zwei Arten von
Paartänzen standen am Ende des 15. Jahrhunderts
zur Wahl, die bis in die Tage Kaiser Karls V. die
Mode dominierten. Auf den von ihm geleiteten
pompösen Reichstagen mit ihren „prächtigen
Tanzereien" war der „fast täglich Tanz auf deutsche
und auf welsche Art" üblich. Was macht den
Unterschied zwischen dem Reigen-Treten und dem
tanzmeisterlich erlernten Tanzen zu Zweit, gekleidet
mit schweren Festgewändern und Schnabelschuhen
, aus?
„Wir süln tanzen, wir süln springen
wir süln vroelich reigen, wir süln singen".
Mit solchen und ähnlichen Versen forderten viele
Sänger seit dem 13. Jahrhundert ihre Mitwelt zum
beschwingten rhythmisierten Handeln auf. Man
unterschied das „tanzen" vom solistischen „springen
" und gruppengebundenen „reigen" mit dem
zumeist dazugehörigen „singen". Eingebunden in
den Jahreslauf unterschied man den Kirchentanz,
den Heiltanz, den Werbetanz, den Schmähtanz oder
auch den Leichentanz und so gehörte das Tanzen
zu allen Phasen des Lebens. Es gehörte unverzichtbar
zum Kult, zu Rechtshandlungen, zur ständischen
Repräsentation, sowie zu Spielhandlungen.
Tanzen als religiöser Dienst vollzogen, als Zauberhandlung
, Lust am Spiel oder als Schaustellung war
in Stadt und Land mithin vielgestaltig präsent und
jeder hatte sich nach strengen Normen, Konventionen
, sogar nach Tanzgeboten zu richten. Das
Nichterfüllen dieser Verbindlichkeiten konnte mit
schweren Strafen von den Obrigkeiten, die Tanzgerechtigkeit
ausübten, geahndet werden.
Man tanzte engschrittig wie auch weitschrittig,
darstellend oder bildfrei, mit Tanzgeräten (Blumen,
Schwertern, Reifen, Stäben, Fackeln und anderem)
oder ohne Attribute. Im Reigen vollzog man das
geregelte Bewegen „aneinander" (Ulm, 1406), das
heißt im Verband einer Gruppe, unter Standesgenossen
oder einer Altersklasse. Das Reigentreten
war mithin nicht wie derzeit ein vornehmlich kindliches
Vergnügen, sondern vielmehr eine Darstellungsform
aller Altersstufen. Geführt von einem
Vortänzer, der zumeist auch der Vorsänger war, bildete
man Kreise, Doppelkreise oder ausgezogene
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