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Horst Buszello - Krise, Reform und neuer Aufschwung
Abb. 6 Die Vermögen der
zünftischen Haushalte nach
Steuerlisten in Gulden (fl).
< 25 fl.
1481 1491 1501
nung und nicht nur einem statistischen Querschnitt
beizukommen, müßten „wir [zudem] jede Einzelperson
in ihrer individuellen Vermögensentwicklung
erfassen, wir [müßten] feststellen, ob sie sich
am Anfang oder am Ende dieser Entwicklung befindet
, ob sie jung oder alt ist, ob verarmt oder abgefunden
, an welcher Stelle ihrer persönlichen Kurve
sie steht". Von der rechnerisch gefundenen Zahl
armer Personen beziehungsweise Haushalte wären
deshalb Berufsanfänger, Altenteiler, die ihre Werkstatt
bereits übergeben hatten, und Witwen von
Handwerkern abzuziehen; denn „alle diese Personen
sind statistisch arm, in ihrem Sozialbewußtsein,
ja vielleicht sogar in ihrem tatsächlichen Besitz aber
keineswegs arm".59
Nach Ausweis vorhandener Gewerftlisten60 versteuerten
um 1500 etwa 60 Prozent der zünftischen
Haushalte ein Vermögen von unter 50 Gulden,
weitere 10 Prozent ein solches zwischen 50 und 100
Gulden. Jene konnten bestenfalls das zum Leben
Notwendige aus eigener Kraft bestreiten. Diese lebten
in ihrer physischen Existenz zwar gesichert,
doch erfüllten sie nur unvollkommen die Norm
dessen, was als standesgemäßes Leben angesehen
wurde; ihre Lebensführung galt eher als kümmerlich
.
Zu den Armen der untersten Kategorie mit weniger
als 25 Gulden Vermögen rechnete die zitierte
Steuerordnung von 1476 Bettler, Taglöhner sowie
Holzhauer, also ungelernte Arbeiter, und arme
Handwerker. Auch nach Ausweis der Steuerlisten
war primäre Armut kein Phänomen jenseits des
Handwerks, ganz zu schweigen von sekundärer
Armut. Der Anteil der Armen fiel in den einzelnen
Zünften unterschiedlich aus. Auffallend groß war
er in der Rebleute- und Zimmerleutezunft.
Den Kreis der Armen vervollständigten Dienstboten
und Mägde, die Angehörigen der unehrlichen
Berufe sowie die arbeitsunwilligen Asozialen.
„Arm" waren auch die Handwerksgesellen, doch
nahmen sie insofern eine besondere Stellung ein,
als das Gesellentum eine Durchgangsstufe zum
selbständigen Meister war. Erst als im späteren 16.
Jahrhundert die Aussicht auf beruflichen Aufstieg
immer mehr schwand, sind auch sie zu den Armen
zu zählen.
Armut - das heißt die Tatsache, daß für den überwiegenden
Teil der Bevölkerung die materielle
Daseinssicherung im Mittelpunkt des Lebens stand
und oft nur mit Mühe zu erreichen war - galt als
hinzunehmende Selbstverständlichkeit. Erst wenn
die Schwelle zur „Bedürftigkeit" überschritten war,
hatte der Arme Anspruch auf Unterstützung in
Form des erbettelten oder zugeteilten Almosens.
Almosen gaben die reicheren Bürger als spontane
und individuelle Hilfe bei wechselnden Gelegenheiten
. Institutionelle Armenfürsorge leisteten
die kirchlichen Einrichtungen, sei es aus eigenem
Vermögen oder aus den ihnen anvertrauten Stiftungen
. Seit dem 15. Jahrhundert trat auch die Stadt
verstärkt als Almosengeber auf. Zu Beginn des 16.
Jahrhunderts lagen im Kaufhaus, dem Mittelpunkt
der städtischen Finanzverwaltung, sechs Stiftungen
.61 Wesentlichen Zuwachs erfuhr das städtische
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