http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1998/0440
Abb. ij Kämpfende
Wildpferde. Aus einer
dreiteiligen Holzschnittfolge.
Hans Baidung Grien, 1534.
essiert. Dadurch sind wir auf den Gebetstext selbst
verwiesen, der eine sinngetreue Übertragung allerdings
schwerlich erlaubt. Mit entsprechend negativem
Ergebnis haben dies bisher auch alle Bearbeiter
gesehen, eine notorisch hellsichtige Interpretin
ausgenommen vielleicht, die hier, wie immer mit
der Schriftstelle vereinbar, Anspielungen auf die
„Reinheit" Mariens und damit der Kirche erkennt.22
Es würde zu weit führen, den Gedankengang ausführlicher
darzulegen; deshalb nur so viel: Drei
Vertreter der Kirche, in Gestalt der kämpfenden
Pferde, streiten um die Jungfräulichkeit Mariens,
personifiziert im Abbild der - „kappadokischen" -
Stute, die der Sage nach vom Wind trächtig wird
und hier, zugleich Sinnbild der Kirche selbst, das
Christuskind auf dem Rücken trägt. Dessen Fackel
wiederum deutet auf den nächtlichen Verrat bei der
Gefangennahme am Olberg hin.
Wer so freihändig argumentiert, hat sich freilich
aller Mühen enthoben, Text und Bild in einen
sinnvollen Zusammenhang zu bringen. Richtig beobachtet
scheint allein dies, daß die mutmaßliche
Stute den Kampf der Hengste entfacht haben muß.
Was liegt nun näher, als im Zeichen der brennenden
Fackel das symbolische Feuer fleischlicher Liebe23
zu sehen?, zumal Baidung durch sein eigenes
Werk ja entsprechende Hinweise gibt. Eben dieses
Wildpferdethema nämlich wird den Graphiker späterhin
in einer dreiteiligen Holzschnittfolge (1534)
gesondert beschäftigen (Abb. 13). Daß das Pferd,
nächst dem Menschen, das wollüstigste aller Lebewesen
sei, war Gemeingut zoologischer Anschauung
seit der Antike. Insofern kann jetzt auch
Baidung die brünftige Tollheit der Tiere als Chiffre
für die Macht des Geschlechtlichen benutzen, der
jegliche Kreatur, allen voran der Mensch, unterworfen
ist: Sexualität und Rivalität sind schicksalhafter
Bestandteil des Lebens derer, die einst aus dem Paradies
vertrieben wurden, läßt er uns mit pessimistischem
Unterton wissen.24 Weshalb dies also nicht
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