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Wechsel vorzunehmen» Damit allerdings produzierten Kirche und Staat weitere „opportunistische
" Konversionen, denn die Hilfeleistungen lockten einleuchtenderweise
Angehörige der Unterschichten an. Anders ausgedrückt: Indem Kirche und Staat
Konvertiten unterstützten, um diese vor dem Außenseiterdasein zu bewahren, erreichten
sie, daß Außenseiter die Konversion als Mittel zur Verbesserung ihrer sozialen
Randlage nutzten. Das taten in Freiburg beispielsweise 1696 zwei junge, mittellose
Frauen protestantischer Herkunft. Anders als Maria Sydonia Ruoff und
Catharina Schmidin täuschte sie die Konversionsbereitschaft nicht nur vor. Vielmehr
schworen die Schweizerinnen Maria Jägerin und Maria Clair dein „calvinischen
Glauben" ab, nachdem sie von Freiburger Jesuiten unterrichtet worden waren. Beide
kamen nach ihrer Konversion wegen Unzucht mit Soldaten mit der Justiz in
Berührung.38
Gleichwohl hatten sich die aus mehr oder minder opportunistischen Motiven eine
Konversion Anstrebenden auf der anderen Seite gewissen Regeln zu unterwerfen.
Sie mußten ihr Anliegen glaubhaft vertreten und sich in den Glaubens Wahrheiten der
neuen Konfession unterweisen lassen. Daß Catharina Baumännin mitunter über Monate
unterrichtet wurde - so in Stuttgart - ist allerdings als Ausnahmefall zu werten.
Da die Geistlichen glaubten, eine Jüdin vor sich zu haben, dürfte ihr Unterricht für
einen längeren Zeitraum konzipiert gewesen sein als für einen Wechsel zwischen den
Konfessionen üblich war, Auch ihre relativ hohe theologische Bildung könnte die
Geistlichen zu einer tiefgehenderen Unterweisung veranlaßt haben. Die Kapuziner
beispielsweise pflegten Intensität und Dauer des Unterrichts nach dem Auffassungsvermögen
des Konversionskandidaten zu richten.39 Von Personen, die den
Glaubenswechsel anstrebten, wurde zudem erwartet, daß sie sich so verhielten, daß
die um sie bemühten Geistlichen in ihrer Konversion der Lehre der Kirche gemäß
einen Ruf Gottes an den einzelnen Menschen sehen konnten.40 Sie mußten sich so™
weit disziplinieren, daß dem Eindruck, hier sei eine Seele gerettet worden, nichts
entgegenstand. Konversionen waren also keinesfalls zum „Nulltarif zu bekommen.
Im übrigen hatte die Unterstützung für Konvertiten ihre Grenzen; längere Aufenthalte
von mittellosen Neubekehrten wurden von frühneuzeitlichen Stadtobrigkeiten
nur geduldet, wenn dies ohne Belastung der Almosenkasse möglich war. Wohl wollte
man Seelen retten, doch die Mittel der Annenkassen waren endlich.41 Gerade Catharina
Baumännin mit ihrem Erfindungsreichtum und ihrer gewissen theologischen
Versiertheit verstand es, den an sie gerichteten Erwartungen zu entsprechen. Andere
weniger zynische Personen mochten infolge der Unterweisung durch Geistliche oder
während des Gottesdienstes, in dem ihre Konversion vollzogen wurde, schließlich
selbst vom Ruf Gottes überzeugt gewesen sein.
Es ist im übrigen offenbar kein Zufall, daß wir es bei diesen Fällen hauptsächlich
mit Frauen zu tun haben. Mittellose Frauen befanden sich in der frühneuzeitlichen
Gesellschaft in einer prekären Situation. Ihre Chancen, eine gesellschaftlich abgesicherte
Stellung mittels Heirat zu erreichen, waren gering, und die Ergreifung eines
Berufes war - von wenigen Ausnahmen abgesehen - Männern vorbehalten. Magdsdienste
und Prostitution waren Auswege, die mit zunehmendem Alter immer weni-
ger zum Uberleben ausreichten. Offenbar wußten sich manche Frauen mittels Betrugs
zu helfen.42
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