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der Bahre seiner Kinder" fühlte, weitergeführt. „Das Vertrauen auf die gerechte
Sache und die tüchtige Heeresleitung würden", so der Bericht seiner Ansprache,
„alle aufrechterhalten und ermutigen, weiter zu arbeiten bis zum guten Ende, bis unsere
Mitarbeiter aus dem Felde alle ehrenvoll und siegreich zurückgekehrt seien."20
Als am Schluß der Feier ein Sonnenstrahl - so weiter der Bericht - „verklärend auf
die blühenden Blumen" fiel, wurde die Bestattung der Freiburger Fliegeropfer nun
auch förmlich zu einem feierlichen Bekenntnis der bürgerlichen Solidarität erhoben.
Die symbolische Bedeutung der Szene auf dem Freiburger Hauptfriedhof kann
man erst recht verstehen vor dem Hintergrund der wachsenden sozialpolitischen
Spannung in der Stadt in den letzten Jahren des Krieges. Trotz der in einem wichtigen
Belang günstigen Lage der Stadt, die weitgehend von der umliegenden Landwirtschaft
versorgt werden konnte, führte die immer schwerer wiegende Knappheit
an Lebensmitteln und Brennstoffen zu offener Unzufriedenheit, die wesentlich durch
den weit verbreiteten Eindruck genährt wurde, daß die öffentliche Versorgung ungerecht
und zugunsten der wohlhabenden Kreise durchgeführt wurde. Die Ressentiments
der Armen, die 1916 die amtliche Bezeichnung „Minderbemittelte" bekamen
und die bis Kriegsende eine deutliche Mehrheit der Einwohnerschaft in Freiburg ausmachten
, fanden ihren Ausdruck in wilden Versammlungen am Marktplatz und beim
Lebensmittelamt und in einer steigenden Zahl von Delikten, vor allem in der zunehmenden
Kellerdiebstahlsfrequenz in der vornehmen Nachbarschaft der Wiehre.21
Waren all diese Erscheinungen als Symptome eines schleichenden Legitimitätsverlustes
des Staates aufzufassen, so trug die Gründung der Freiburger Vaterlandspartei
durch Universitätsgelehrte im September 1917 erheblich zur weiteren Politisierung
der sozialen Spannungen bei.22 Den Gegenpol zu den gelehrten Patrioten bildete die
Freiburger Sozialdemokratie, die sich auch in der katholischen Arbeiterbewegung
eines wachsenden Einflusses erfreute und von denen viele unter der Führung des
Arbeitersekretärs mit der USPD sympathisierten. Bis Spätsommer 1918 waren die
Zeichen unübersehbar, daß Freiburg dem Ende nahe war. Im selben Augenblick, als
die Freien Gewerkschaften den Generalstreik androhten, wurde die nunmehr erschöpfte
Stadt von epidemischen Krankheiten, sowohl der Diphtherie als auch der
sogenannten spanischen Grippe, heimgesucht.
Für die Militärgeschichte sind diese Freiburger Geschichten, die in der Szene auf
dem Hauptfriedhof kumulierten, von direktem Belang, und zwar in zweifacher Hinsicht
. Erstens zeigten sie, wie sich die Konsequenzen des Kriegs - sowohl die mittelbaren
als auch die unmittelbaren - intensiv und allumfassend auf die Stadt auswirkten
, Keine Phase des Lebens blieb unberührt von diesem Konflikt, dessen Folgen
sich gleichermaßen in der soziahvirtschaftlichen Entwicklung, Politik und
Kultur niederschlugen. Der Krieg prägte Tod und Krankheit in Freiburg, Haß und
Liebe, Kindheit und Alter, auch die Wahrnehmung von heiß und kalt, nah und fern.
Der Einfluß des Krieges war für jeden körperlichen Sinn spürbar, ob im kohlenknappen
Winter 1916/17, im Geräusch der Artilleriegefechte, auf verdunkelten
Straßen - die manchen Beobachter an vormoderne Zeiten erinnerten - oder im nie
völlig zu verhüllenden Geschmack der kaum minder geschmähten als verzehrten
Steckrübe. Schon vom unbegrenzten Ausmaß der Kriegsfolgen her ist es deshalb
kaum übertrieben, von einem „totalen Krieg" zu reden.
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