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die am Weihnachtsabend 1938 stirbt,30 und Fanny und Frieda Breisacher. Sie wohnen
in dem Haus schon seit 1925; zuvor hatten Karolina und Frieda - von 1921 bis
1924 - in der Talstraße 26 ein Woll- und Kurzwarengeschäft betrieben, das sie aber,
wohl wegen der wirtschaftlich ungünstigen Zeiten, wieder hatten aufgeben müssen.
Erst vor kurzem sind nun weitere jüdische Mitbewohner in die Glümerstraße 31 eingezogen
; der 1861 geborene Moritz Bähr, dessen Leben für uns bisher ganz im Dunkeln
liegt, und der 1872 geborene Siegfried Sommer.31
Das Haus und die Entwicklung seiner Bewohner zeigen: Das Reichsgesetz vom
April 1939 über „Mietverhältnisse mit Juden" beginnt auch in Freiburg langsam zu
greifen. Mit diesem Gesetz will man, wie das Bürgermeisteramt im Juni 1939 ausführt
, „erreichen, daß Juden möglichst gemeinschaftlich in einzelnen Häusern zusammenwohnen
. Vor allen Dingen ist angestrebt, daß die z. Zt. von Juden benützten
Wohnungen in Häusern, die in arischem Besitz sind, freigemacht und diese Juden ...
bei anderen Juden in Untermiete untergebracht werden."32
Am 15. Mai 1939 schreibt Käthe Vordtriede an ihre Kinder Werner und Fränze:
„Habt Ihr das ,Gesetz4 gelesen, daß alle Juden ihre Wohnungen verlassen müssen?
Sie sollen in Judenhäuser4 ziehen. Damit ist das Ghetto besiegelt. Denn seit fast
einem Jahr wurden die Juden unter Drohungen bedrängt, ihre Häuser zu verkaufen.
Nun haben sie's fast restlos verschleudert, und nun kommt das »Gesetz4, daß die
Juden in die Juden gehörigen Häuser ziehen sollen, ,in denen ihnen überreichlicher
Raum' zur Verfügung steht, falls sie ,von der Auswanderungsmöglichkeit keinen Gebrauch
machen wollen'. Wie immer zum Elend noch den Hohn! ... Ich nehme an,
daß für die Juden Holzbaracken weit draußen am Mooswald gebaut werden. Da sind
sie dann ganz vogelfrei."33
Alle diese ausgeklügelten Restriktionen und Ghettoisierungsmaßnahmen hatten
allerdings ein gutes Jahr später schon, wie das Landratsamt Freiburg am 28. Oktober
1940 feststellte, durch „die vor einigen Tagen gegen die Juden getroffenen Maßnahmen
ihre Erledigung gefunden".34 In der Tat: Inzwischen sind die Freiburger Juden
, 350 Männer, Frauen und Kinder jeglichen Alters, von der Polizei abgeholt und
vom Güterbahnhof nach Gurs abtransportiert worden. Von dort werden sie teilweise,
wie die Geschwister Breisacher, weiterverschleppt in das Lager Recebedou, wo
Frieda den Strapazen des harten Lagerlebens schon am 4. Januar 1941 erliegt. Fanny
Breisacher stirbt ein Jahr später im März 1942.35 Ebenfalls in Recebedou findet den
Tod am 5. Dezember 1941 Siegfried Sommer, der eine Mitbewohner aus dem Haus
in der Glümerstraße.36 Moritz Bähr, dem anderen Nachbarn, scheint die Flucht in das
rettende Ausland geglückt zu sein.37
Siegfried Hauser und seine Frau Lina dagegen, deren Briefe aus Gurs - Hilferufe
an die Familie - von ihrer Widerstandskraft Zeugnis geben, überleben zwar die Strapazen
dort. Ihren Angehörigen gelingt es aber nicht, sie aus dem Lager herauszuholen
, und so werden sie am 10. August 1942 nach Auschwitz verschickt, wo sie ermordet
werden.38
Max Frank, der in den Vormittagsstunden des 22. Oktober 1940 sieht, wie Polizeiwagen
in die Wiehre einfahren, Polizeibeamte mit weißen Zetteln in der Hand von
Haus zu Haus gehen und sich eifrig Notizen machen, der sieht wie sich die parkenden
Wagen mit Insassen füllen,39 Max Frank, der bereits aus Dachau weiß, was ihn
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