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Kriminalbeamte für eine schwere Belastung angesichts des Verdachts auf Diebstahl
bei der Familie Hein gehalten hatte, zu entkräften: „Ich wollte damals mir einen Anzug
holen, der einem Freunde meiner Schwester gehörte. Ich war damals arbeitslos
und hatte keine Kleider."10
Die Strategie des Richters ging zunächst auf. Obwohl Frau Hein ihre Anzeige am
28. Juli aufrecht erhielt, weil Birmeles Verhalten für sie „durchaus keinen harmlosen
Charakter" hatte, erließ das Freiburger Amtsgericht am 5. August 1942 auf Antrag
des Oberstaatsanwaltes eine Strafe von einem Monat Gefängnis unter Anrechnung
der Untersuchungshaft, Der Strafgrund lautete, Birmele habe sich „unbefugt
mit Ausübung eines öffentlichen Amts befasst oder eine Handlung vorgenommen,
die nur kraft eines öffentlichen Amts vorgenommen werden darf" (§132 Strafgesetzbuch
) . Einen Tag später wurde Birmele das Urteil eröffnet. Er nahm es widerspruchslos
an. Die auferlegten Kosten konnten nicht eingetrieben werden, da er
tatsächlich kein Vermögen besaß.
Bereits am 23. August 1942 war die Haftzeit abgelaufen. Morgens um elf Uhr
wurde er entlassen - jedoch nicht in die Freiheit. Auf Reinhold Birmele wartete die
Gestapo und nahm ihn in „Schutzhaft".11 Was war geschehen? Hatte die Polizei
recherchiert und herausgefunden, daß ein August Birmele Ende Januar 1919 Mitglied
des Arbeiterrates für den Bezirk Waldkirch gewesen war?12 War ihr bekannt
geworden, daß Reinhold Birmele zu einem Bekannten, der mit der Kommunistischen
Partei sympathisierte, gesagt hatte: „Wenn wir an der Macht sind, wird alles
besser"?13 Gab es sonst einen Verdacht auf politische Betätigung? Die Akten, soweit
sie erhalten geblieben sind, geben darüber keine Auskunft. Nach ihnen bildete die
Grundlage für die „Schutzhaft" ein Runderlaß des Chefs der Sicherheitspolizei und
des Sicherheitsdienstes vom 13. Juli 1941. Dieser sah vor die „Inschutzhaftnahme
von Personen, die sich fälschlicherweise als Beamte der Geheimen Staatspolizei
bzw. Kriminalpolizei oder allgemein als Polizeibeamte ausgeben". Auch bei einem
richterlichen Haftbefehl sei die Gestapo zu verständigen. Der diensttuende Kriminalbeamte
hatte sich an diese Vorschrift gehalten und das unbedachte, aber wohl
kaum die Autorität des Staates bedrohende Verhalten Birmeles gemeldet. Der Hilfeversuch
des Richters konnte daran nichts mehr ändern. Hier zeigt sich, dass derartige
Meldungen, die ohne negative Folgen für den Beamten hätten unterbleiben können
, neben den zahlreichen Denunziationen die entscheidende Zuarbeit für die Gestapo
darstellten. Erst dadurch war es ihr möglich, auch im Alltag in unerwarteter
Weise gegenwärtig zu sein sowie Urteile der Justiz zu ergänzen oder zu korrigieren
.14
Nun war Reinhold Birmele in das Räderwerk des nationalsozialistischen Terrorapparates
geraten. Er wußte zunächst gar nicht, was mit ihm geschehen war. Am 30.
August 1942 schrieb er aus dem Freiburger Gefängnis an seine Frau, er „habe es gut
gemeint und ist schlecht raus" gekommen. Er bat sie, doch einmal nach Karlsruhe
zu schreiben und anzufragen, warum er eigentlich eingesperrt sei. Seine Strafe habe
er doch schon lange abgesessen und „doch sonst nichts gemacht".15 Zwei Wochen
später, am 13. September 1942, wunderte er sich in einem neuen Brief an seine Frau,
warum man ihn so lange in „Schutzhaft" behalte. Aber er habe ein „gutes Gewissen
", und so werde alles wieder gut werden. Immerhin wußte er jetzt, warum man
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