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daß seinerzeit niemand Frau Birmele darauf aufmerksam gemacht hatte ~, man
könne jedoch ersatzweise ihr Verfahren um Wiedergutmachung anerkennen. Sie
möge bei der Oberftnanzdirektion Freiburg vorsprechen. Nach einigem Hin und Her
gewährte diese am 30. März 1967 „als Schmerzensgeld für den vier volle Monate
dauernden rechtswidrigen Freiheitsentzug" ein Betrag von insgesamt DM 500,-, der
dann mit Entscheidung vom 21, Juli 1967 jeweils zur Hälfte an Luise Birmele und
an Reinhold Birmeles Vater ausgezahlt wurde. Am 12. Januar 1968 teilte die Oberfinanzdirektion
Frau Birmele ergänzend mit, es stehe ihr eine Hinterbliebenenrente
von DM 330 - zu, die jedoch entfalle, weil ihre bisherigen und jetzigen Einkünfte
diesen Betrag überstiegen. Frau Birmeles Anfrage bei der Rechtsstelle des Deutschen
Gewerkschaftsbundes in Freiburg ergab am 9* April 1968, daß diese Entscheidung
nicht beanstandet werden könne. „Vielleicht wird der Gesetzgeber eines
Tages in solchen Härtefällen großzügiger bei einer gesetzlichen Regelung verfahren.
Sie sollten deshalb die Sache doch nicht endgültig ablegen."
Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Selbst das am 28. Mai 1998 vom Deutschen
Bundestag endlich beschlossene „Gesetz über die Aufhebung nationalsozialistischer
Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege" erfaßt die KZ-Deportation aufgrund des
Schutzhaftbefehls nicht.32 Der Petitionsauschuß des Deutschen Bundestages lehnte
mit Schreiben vom 8» April 1999 eine Gleichsetzung ab, weil das Gesetz nicht für
„Willkürmaßnahmen" gelte, „die keinen verurteilenden strafgerichtlichen Charakter
haben". Die „Inschutzhaftnahme" sei „von vornherein Unrecht" gewesen, wie „dies
für jedermann zu erkennen" gewesen sei. Allerdings könne trotzdem keine offizielle
Rehabilitierung erfolgen, „da die tatsächlichen Folgen derartiger Willkürmaßnahmen
rückwirkend nicht beseitigt werden können". Diese Argumentation kann nicht
überzeugen. Wenn sie zuträfe, hätte auch bislang niemand rehabilitiert werden dürfen
, der an den Folgen von Unrechtshandlungen zu Tode gekommen war. Auf meinen
Einspruch hin wiederholte jedoch der Petitionsausschuß mit Schreiben vom
22. Juni 1999 seine Ablehnung. Das Bundesministerium der Justiz hatte in seiner
entsprechenden Stellungnahme vom 9. Juni 1999 erklärt, nur nationalsozialistische
Urteile könnten aufgehoben werden, während es bei Maßnahmen der Exekutive,
deren Unrechtscharakter offenkundig sei, „einer besonderen Unrechtserklärung oder
einer offiziellen Aufhebung derartiger Maßnahmen des Verwaltungshandelns nicht
bedarf6. Die Vermischung von regulärer Justiz und irregulärem, korrigierendem
staatlichen Handeln, die geradezu ein Kennzeichen des nationalsozialistischen
Regimes war, bleibt hier außerhalb des Blickfeldes.
Dennoch: Abgelegt hat Luise Birmele die Sache bis heute nicht. Der „Fall" Reinhold
Birmele ist ein Beispiel für den Mechanismus des nationalsozialistischen Herrschaftssystems
und zugleich für die Prägungen durch dieses System wie für die Verdrängungen
jener Zeit in der Bundesrepublik Deutschland» Selbst die juristische
Aufarbeitung ist noch nicht beendet.
Anmerkungen
1 Alle Ausführungen, soweit nicht anders vermerkt, nach: Staatsarchiv Freiburg, B 18/21, Nr. 80, C 2
Cs. 74/72 (Amtsgericht Freiburg [Breisgau]. Strafsache „gegen Reinhold Birmele, Gärtnergehilfe in
Kollnau wegen Amtsanmassung4')-
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