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Etwa zur selben Zeit, im Juli 1945, suchte Colonel Loutre Reifenberg in Neustadt
auf. Er schlug ihm vor, „mit den in der französischen Zone lebenden Kollegen von
der Frankfurter Zeitung eine Zeitschrift herauszugeben. Sie sollte einen politischen,
feuilletonistischen und wirtschaftlichen Teil haben. Natürlich behalte sich Baden-
Baden das Einsichtsrecht vor. Doch komme es jetzt darauf an, eine neue, freie Form
der deutschen Presse ins Leben zu rufen. Seine Freunde und er hielten nichts von
schematischer und pauschaler Zensur. [...] Jetzt komme alles darauf an, die Zweifler
, die ihrer Illusion beraubte, um ihre schönsten Jahre gebrachte deutsche Jugend
anzusprechen. Mit dieser müsse man gemeinsam eine neue europäische Zukunft
bauen."82
Reifenberg zögerte zunächst. „Ich wußte, daß ich meine persönliche Freiheit fürs
erste würde drangeben müssen," schrieb er später an Wilhelm Hausenstein.83 Zum
zweiten wollte er einer möglichen Neugründung der Frankfurter Zeitung nichts in
den Weg stellen. Doch „nach zwölf Jahren Knebelung der Presse im Dritten Reich
war für ihn Arbeit unter Zensur nicht denkbar".84 Im Gegensatz zur „puritanischlogischen
" Gründlichkeit85 der Amerikaner waren die Franzosen, besonders Colonel
Loutre dank seiner eigenen journalistischen Erfahrung, differenzierter in ihrem
Urteil über die deutsche Presse,86 „Die französischen Partner hatten für meine
Grundthese Verständnis: Wir haben nur dann bei den Deutschen auf Autorität zu hoffen
, wenn wir auch die deutschen Sorgen aussprechen können."87 Ausschlaggebend
wurde schließlich auch die Begeisterung des „Grand Old Man"88 der Frankfurter
Zeitung, Bernhard Guttmann, für das Projekt: „Ohne Bernhard Guttmanns großartige
Leidenschaft, noch einmal sprechen zu wollen (er ist 76), hätte ich das ganze
wahrscheinlich nicht gewagt."89
Ein erstes Konzept für die neue Zeitschrift mit dem Titel „Bemerkungen über das
Problem einer grossen Tageszeitung für die ganze französische Zone"90 reichte
Erich Stückrath am 14. August 1945 bei Colonel Loutre in Baden-Baden ein.
Stückrath und Reifenberg hatten sich vermutlich in Saig im Schwarzwald kennengelernt
, wo auch Reifenberg seinen Wohnsitz genommen hatte. Stückrath schwebte
zu diesem Zeitpunkt eine Zeitung von sechs Seiten vor, die zwei- bis dreimal
wöchentlich erscheinen und aus einem Standard- sowie einem eingeschobenen lokalen
und amtlichen Teil bestehen sollte. Als Titel für die neue Zeitung dachte er an
„Der Rhein", „Tag am Rhein" oder „Rheinische Zeitung", da der Rhein „Schwert
und Brücke zugleich zwischen Deutschland und Frankreich" sei, oder aber „Südwestdeutsche
Zeitung", „Der Westen" etc. Die Stadt Freiburg erschien Stückrath als
Verlagsort trotz ihrer geographischen Lage, der mangelnden Industrie und „der überwiegend
katholischen Bindungen seiner Bevölkerung, die ein freies Zeitungsschaffen
doch weitgehend hemmen", wegen ihrer Größe, dem „Niveau der Bevölkerung"
und der Universität günstig. Gegenüber der Besatzungsmacht formulierte er folgende
Voraussetzungen für die Herausgabe der Zeitung: Sie müsse finanziell und
politisch vollkommen unabhängig sein, den „Schmerzen und Kümmernissen des
deutschen Volkes Ausdruck verleihen können", die Leser „zu einem neuen, unbefangenen
deutschen Patriotismus" erziehen und gegenüber den Besatzungsmächten
„sachliche und noble Kritik üben" dürfen. Im Mittelpunkt der außenpolitischen Betrachtung
sollten die deutsch-französischen Beziehungen stehen, innenpolitisch
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