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wollte Stückrath den Lesern „die Grundgesetze des Rechtes, der Menschlichkeit und
der persönlichen Freiheit vorsichtig dosiert beibringen", während die politischen
Kontroversen eher am Rande behandelt werden sollten. „Deutsche Innenpolitik: das
heisst zunächst nichts als Wiedererweckung christlich-abendländischer Gesittung,
unerbittlicher Zwang zum sachlichen Denken und zu gedämpfter Aussprache," Wirtschaftlich
wollte Stückrath sich auf das Referieren von Entwicklungen beschränken,
aber „immerhin sollte die Diskussion der Sozialisierung der echten Monopole möglich
und erlaubt sein", und kulturpolitisch sollte die „Besinnung auf die wirklichen
Werte der deutschen Nationalität" erfolgen.
Erich Stückrath wollte offensichtlich die Gunst der Stunde ergreifen und eine Zeitungslizenz
erlangen, die auf längere Sicht eine Monopolstellung in Südbaden
garantiert hätte, wie dies später tatsächlich den Verlegern der Badischen Zeitung gelang
.91 Daß er dabei zunächst an eine halboffizielle Stellung mit starker Protektio-
nierung der Besatzungsmacht dachte, zeigen Forderungen nach der Überlassung von
Kohle und Armeefahrzeugen, zusätzlicher Lebensmittelversorgung und der Übernahme
des Vertriebsapparates des bisherigen Mitteilungsblattes Informations.92
In den folgenden Monaten formierte sich in Saig eine Gruppe von Journalisten,
auf die u. a. der amerikanische Presseoffizier aus Stuttgart, John Boxer, aufmerksam
wurde, als er Redakteure zur Gründung einer Zeitung in Stuttgart suchte.93 Sie bestand
aus Reifenberg, dem aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft heimgekehrten
Robert Haerdter, Dolf Sternberger und Theodor Heuss. Stückrath hatte außerdem
noch an eine Mitarbeit von Marie-Luise von Kaschnitz und Walter Eucken gedacht.94
Erst im Laufe des Jahres zeichnete sich der oben beschriebene Kreis der Herausgeber
endgültig ab: Theodor Heuss hatte das amerikanische Angebot angenommen
, Herausgeber der Rhein-Neckar-Zeitung in Heidelberg zu werden. Dolf Sternberger
gründete im November 1945 eine eigene Monatsschrift in Heidelberg, Die
Wandlung,95 an der Alfred Weber, Karl Jaspers und Marie-Luise von Kaschnitz mitwirkten
.
Im Herbst 1945 vollzogen sich die Vorbereitungen für die Zeitschrift, die Jan Reifenberg
„als gutes Beispiel der damals herrschenden Dynamik" in Erinnerung blieben
, „Uns alle erfüllte trotz der materiellen Not, des Hungers und der fürchterlichen
Enthüllungen über die Schandtaten des Regimes eine große Aufbruchstimmung.
■ *
[...] über allem aber lag eine heute kaum mehr vorstellbare Stille: Nach all den
Parolen, Gesängen, Aufmärschen, Fanfaren, dem täglichen Ansturm der Propaganda
, den metallisch-unnatürlich bellenden Stimmen der Sprecher des ,Reichs-
rundfunks4 oder der ,Deutschen Wochenschau6, der Kaskade gelenkter Lügen, hatte
man das Gefühl, durchzuatmen."96
Man traf sich für diese Vorbereitungen und Besprechungen in Saig, zunächst bei
Stückrath, dann im Gasthaus „zum Ochsen". „In dieser Umgebung zerbrachen sich
nun die zusammengekommenen Kollegen über den Entwurf ihrer Halbmonatsschrift
den Kopf, Der lateinische Satz, daß ,ein voller Magen nicht gerne studiert*, erwies
sich als sehr zutreffend. Es gab nichts anderes als viel Zeit, um nachzudenken und
Bilanz zu ziehen."97
In diesen ersten Redaktionssitzungen erarbeitete man das inhaltliche Konzept der
Zeitschrift. Die Herausgeber hatten den gemeinsamen Willen, sich mit allen Folgen
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