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Thomas Salb: „Trutzburg deutschen Geistes?". Das Stadttheater Freiburg in der Zeit des
Nationalsozialismus. Rombach Verlag, Freiburg 1993. 558 S.
Der Präsident der Reichstheaterkammer sprach 1941 von „Trutzburgen deutschen Geistes".
Thomas Salb wählte dieses Zitat als Titel seiner historischen und theaterwissenschaftlichen
Studie über das Freiburger Stadttheater in der Zeit des Nationalsozialismus; er setzte allerdings
ein Fragezeichen dahinter. Fünf Arbeitsbereiche nahm er sich vor: die rechtlichen und
politischen Rahmenbedingungen, Personal, Finanzen, Publikumsorganisation und den künstlerischen
Betrieb, innerhalb derer er die Einflüsse der nationalsozialistischen Politik untersuchte
. Um eine Vergleichsbasis zu schaffen» bezog er die Zeit von 1924 bis 1933 ein. Um
seine Schlußfolgerungen nachvollziehbar zu machen, legt er im Anhang die Spielpläne der
Untersuchungszeit von 1924 bis 1944 in tabellarischer Form vor, außerdem ausgewählte
Dokumente wie Beispiele aus der Korrespondenz des Freiburger Intendanten mit dem Reichsdramaturgen
im Reichsministerium für Volks auf klärung und Propaganda, also dem Hause
Goebbels. Bei der Spielplananalyse ergänzt er seinen Text durch aussagekräftige Graphiken.
Eine sichtbare Zäsur trat in der Freiburger Theatergeschichte 1935/36 mit der Einsetzung
Dr. Wolfgang Nufers als Intendant ein. Nachdem sein Vorgänger Kehm versucht hatte, die Zeit
der Neuorientierung unter dem Hakenkreuz durch verstärkten Rückgriff auf genehme Klassiker
zu überstehen, wagte er sich an moderne Dramatik heran. Die Besucherzahlen stiegen mit
Beginn seiner Amtszeit deutlich an, nicht nur dank organisierter Theaterbesuche durch die
DAF-Tochter „Kraft durch Freude", sondern auch dank des Einsatzes von Werbung im Rundfunk
oder durch Aufdrucke auf den Straßenbahnen. Eine Veränderung in der Sozialstruktur der
Theaterbesucher hat sich in jenen Jahren vollzogen, das Bildungsbürgertum war nicht mehr
unter sich. Daß Operetten, Komödien und Lustspiele in den Kriegsjahren favorisiert wurden,
ist leicht erklärbar; die Entwicklung hin zum Heiteren war aber auch in den 20er Jahren zu beobachten
.
Am deutlichsten teilt sich dem Leser der Zugriff der NS-Politik im Zusammenhang mit der
„Arisierung" des Personals mit, Die Feststellung „Eltern und Großeltern jüdischer Abstammung
" führte zum Verlust des Arbeitsplatzes. Versuche der Theaterleitung, die Verträge jüdischer
Ensemblemitglieder dennoch zu verlängern, wurden vereitelt durch Druck von Seiten
der NS-Betriebszellenorganisation und durch Androhung von Störaktionen. Nicht allein Auftritte
nicht-arischer Künstler, sondern auch Werke jüdischer Komponisten und Dramatiker
waren fortan unerwünscht. Gleich am Tag nach der „nationalen Erhebung" im Januar 1933
wurde Jacques Halevys Oper „Die Jüdin" gegen Wagners Lohengrin ausgetauscht. 1938 setzte
die Reichskulturkammer diesem Kapitel die Krone auf und untersagte jüdischen Mitbürgern
die Teilnahme am deutschen Kulturleben. Vier hiervon betroffene Theatermieter mußten ihre
nichteingelösten Karten abgeben. Thomas Salb bringt konkrete Fälle, nennt Namen und informiert
nach Möglichkeit über das weitere Schicksal. Er vergleicht die Vorgehensweise am
Freiburger Theater mit der in anderen Städten mit dem Ergebnis, daß sie kaum divergiere.
Exemplarisch und zugleich von großem lokalgeschichtlichem Interesse sind die ausführlichen
Portraits der Intendanten und kommissarischen Leiter, auch baugeschichtliche Details.
Das Kapitel über die künstlerische Seite enthält Analysen der Spielpläne in Oper, Schauspiel
und Philharmonie, außerdem Ausblicke auf das Gastspielwesen: Auftritte des Freiburger Theaters
im Elsaß hatten Tradition, die auch nach 1933 nicht abriß. Wohin das Freiburger Theaterensemble
mit einem repräsentativen Reisebus auf Fronttheater«Tournee ging und mit welchem
Repertoire, faßt der Autor im letzten Kapitel zusammen. - Einen Wunsch läßt diese
materialreiche solide Studie offen, den nach einem Orts-, Personen- und Sachregister.
Renate Liessem-Breinlinger
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