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sehen Aufbruch, der in Deutschland eine bald unübersehbare Bildungsdiskussion
und mit ihr neue Typen höherer Schulen hervorgebracht hat,158 verharrte das
Berthold-Gymnasium in selbstgenügsamer Ruhe. Alles schien hier gleich zu bleiben
- vor allem der Lehrplan.159 Allerdings kostete es auch dem Gymnasium Mühe, den
hohen Leistungsstandard, der durch den Krieg gelitten hatte, wieder herzustellen und
gleichzeitig die Schuldisziplin - zumal unter den Kriegsheimkehrern - wieder zur
Geltung zu bringen.
Dann begannen eine Reihe staatlich verordneter Reformen, denen sich auch ein
traditionsbewusstes Gymnasium nicht entziehen konnte: Es entstand die Elternmitverantwortung
, zu deren wichtigster Veranstaltung der regelmäßige Elternabend
wurde.160 Auch die Schüler konnten nunmehr aus ihrer Mitte ein Vertretungsorgan,
den Schulausschuss, wählen. Der noch in großherzoglicher Zeit als Aufsichtsorgan
begründete Schulbeirat wurde jetzt paritätisch mit gewählten Vertretern aller Schulbeteiligten
besetzt.
Diese Institutionen zielten auf eine Demokratisierung der Schule. Aber sie vermochten
bei ihren Zielgruppen nur mäßiges Interesse zu wecken, wahrscheinlich
auch deshalb, weil ihre Befugnisse schlussendlich marginal blieben und nicht in den
von Schulleitung und Lehrerkonferenz beherrschten inneren Schulbereich hineindrangen
. Da war die umstrittene, 1921 dann aber administrativ vollzogene Umstellung
des Schuljahrbeginns auf Ostern161 schon einfacher. Erfolgreicher war auch die
Förderung des Schulsports, der jetzt allmählich aus dem Schatten des traditionellen
Turnunterrichts heraustrat und sich auf andere Sportarten ausdehnte.162 Darin
äußerte sich nicht nur die wachsende Bedeutung des Breitensports, sondern auch
Tendenzen eines neuen Nationalismus, der im intensiveren Sportbetrieb einen Ersatz
für die allgemeine Wehrpflicht sah, die der Vertrag von Versailles verboten hatte. Instrumente
dieser neuartigen Bedeutung des Sports waren die Reichsjugendwett-
kämpfe163 und die regelmäßigen Schulwettkämpfe um Wanderpreise von Stadt,
Sportverbänden oder Ministerium: So gewann das Berthold-Gymnasium 1925 beispielsweise
den Fußball-Wanderpreis der badischen Schulen.164
Die Festkultur der Monarchie hatte vor allem die Lebensdaten der Oberhäupter
(Geburtstage von Kaiser und Großherzog, ihre Jubiläen, ihren Tod) inszeniert. Die
Republik verlagerte das Gedenken auf Sachliches, Sinnhaftes, Abstraktes, auf den
Verfassungstag beispielsweise (31. Juli) oder auf den Reichsgründungstag (18. Januar
). Letzterer (dessen Stiftung noch in die Zeit der Monarchie zurückreichte) erfreute
sich größerer Wertschätzung - geht man vom Rang des jeweiligen Festredners
innerhalb des Kollegiums aus165 - was wiederum die Reserve der Gymnasiallehrerschaft
gegenüber der Republik verdeutlicht.
Eine besondere Bedeutung für die Festkultur der Weimarer Republik gewann der
Totengedenktag. Denn die Reflexion über den Sinn des massenhaften Sterbens in
einem zuletzt verlorenen Krieg geriet in der Regel zu einer verdichteten Aussage
über das eigene politische Selbstverständnis.166 Bereits 1923 errichtete die Schule im
Treppenhaus eine Gedenktafel, die die Namen ihrer Toten unter dem Leitspruch
„Virtute invictis" aufführte und mit einem Tempera-Gemälde eine Deutung anbot,167
die zwar sentimental war, aber das allfällige „Trotzdem"-Pathos der politischen
Rechten vermied.
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