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schließen und gebe „hiengegen eine verderbte Laßheit und dolum zu erkennen".47
Von einer „rustica simplicitas" könne auch deshalb keineswegs die Rede sein, da
der Angeklagte nichts freiwillig gestanden habe, sondern erst dann, als er sich eindeutig
überführt gesehen habe. Auch wenn es wahr sei, dass er „durch anderer
leuthe unzüchtige reden und gespräch" zu seiner Tat angestachelt worden sei, sei
das keine Entschuldigung. Zu alledem komme noch der schwere Verdacht, dass er
auch mit seiner älteren Schwester Magdalena dasselbe vollzogen habe, was zwar
nicht bewiesen werden könne, doch äußerst wahrscheinlich sei, da er ein „garstiger
, unkeuscher und geiler Mensch" sei und die Gelegenheit dazu gehabt habe:
„Sintemalen gesetzt, er alß er das erste mahl mit dieser seiner jüngsten Schwester,
fleischliche unzucht getrieben, noch nicht in plena pubertate gewesen seye, so ist
doch dieses gewiß, quod is illo tempore pubes fuerit, imo plenae pubertati proxi-
mus, mithien, dass er citra omne dubium, doli capax gewesen, ja dass bei ihm ma-
litia maxima in hoc crimine, aetatem longe super averit und suppleverit, folglich
wohl gewußt, auffs wenigst wissen sollen und können, dass Gott dieses laster der
unkeuschheit, allen menschen jung und alt, auffs wenigst im 6. geboth, so hoch
verbotten, sonderlich aber dergleichen was, mit einer leiblichen Schwester, und
darzu noch unmündigen mägdlein verübe, groß unrecht, und vor Gott ein greuwel,
mithien noch mehr straffbar seye: wie dann, und dass sein gewissen ihn alles solches
überzeuget, eben der, solche sünde sicher zu begehen, gemachte anstalt und
dazu gesuchte gelegenheit, weniger nicht die umbstände der zeit und des orts, dergleichen
zu verüben, alß des nachts, in abwesen des vatters, in des vatters bett, da
er und diese seine Schwester beysammen gelegen, item im kühestall, und in der
kühe krippen, alles aber so heimlich gehalten, dass kein mensch auch solches nur
in acht genommen, mercklichen zu erkennen gegeben secundum effatum Christi
Johann. 3. v. 20 ibi. quisquis, quae mala sunt agit, odit lucem, nec venit ad lucem,
ne redarguantur ipsius opera: atque tanta est vis conscientiae, in utramque partem,
ut non timeant recte facientes: e contra qui peccant, Semper poenam ante oculos
versari putent, teste Cicerone, in orat[ione] pro Milon".48 Das Problem des Vorsatzes
spielt nicht nur bei Franz Kühnlin, sondern auch bei seiner Schwester Maria
eine Rolle, und ist mit dem der Minderjährigkeit eng verbunden. Maria Kühnlin
soll nach Meinung der Gutachter keine harte Bestrafung erfahren, da nach römischem
Recht „dero Unmündigkeit, worinnen sie damahlen gestanden, ab omni dolo
excusiret".49 Sie solle zu Verwandten aufs Land, und wenn dies nicht möglich sei,
in ein Kloster gebracht werden.50 Es scheint dem die Vorstellung zugrunde zu liegen
, dass der Mensch erst ab einem bestimmten Alter, und zwar mit seiner Volljährigkeit
, dazu fähig ist, von sich aus mit böser Absicht zu handeln. Auch im Fall
der Jugendlichen wird sowohl vom Freiburger Rat als auch von den Straßburger
Gutachtern argumentiert, dass deren geringes Alter ihre Schuldfähigkeit vermindere
. In seiner Urfehde muss der mit 19 Jahren deutlich ältere Franz Kühnlin die
Hauptschuld für das Geschehen auf sich nehmen. Er sei der Anstifter und habe die
unschuldigen und aufgrund ihres Alters zu diesen Vergehen noch unfähigen Jungen
durch sein schlechtes Beispiel dazu verführt.51 Das volle Strafmaß soll auch
nach Meinung der Straßburger Universitätsjuristen nur denjenigen treffen, der als
Anstifter zu identifizieren sei, da die meisten der Jungen noch sehr jung gewesen
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