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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
121.2002
Seite: 66
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seien und daher die Sündhaftigkeit ihres Tuns weniger als der ältere Kühnlin begriffen
hätten: Es sei „unschwer zu erachten dass sie bey solchem ihrem alter die
abscheulichkeit dieses lasters und sünde vor Gott, recht nicht erkanth, oder erkennen
und fassen können. Zumahlen da Sie andere ältere dergleichen thun gesehen,
und sie dadurch, wie bey der jugend leicht geschehen kann, geärgert, dennselben
es nachgethan: Ohn welches gegeben ärgernuß, vielleicht ihnen sonsten solch la-
ster zu begehen nicht zu sinn kommen were".52

Der Fall Barthel Kühnlin:

Poena ordinaria oder poena extraordinarial

Der Fall Barthel Kühnlins stellt sich um einiges komplizierter dar als der seines Sohnes
, da ein feststehendes Geständnis fehlt und Unklarheit darüber besteht, ob die Tat
als vollzogen oder nur als versucht gewertet werden soll. Gegen den Witwer liegen
mehrere Verdachtsmomente vor. So ist erwiesen, dass er nach dem Tod seiner Frau
angeordnet hatte, dass die jüngere Tochter bei ihm und die ältere bei ihrem Bruder
Franz im Bett schlafen solle, was „ipsi naturali pudori et honestati adversatur",53 wie
die Straßburger Juristen meinen. Bezeugt ist zudem, sowohl durch die Aussage
Marias als auch durch ein von vereidigten Hebammen erstelltes Gutachten, dass er
„sich was mit ihr unterstanden". Unklar bleibt jedoch, ob der Inzest wirklich vollzogen
oder nur „attentiert" wurde. Zu der Annahme eines bloßen Versuchs tendieren
die Freiburger Ratsherren. Sie schenken dem Urteil der Hebammen Glauben,
wonach er wieder habe „zurück halten müssen", da das Kind zu jung gewesen sei.
Die Freiburger Obrigkeit kommt also zu dem Schluss, dass Barthel Kühnlin die
Unzucht an seiner Tochter nur versucht und nicht vollendet habe, und dass sie daher
„nicht pro crimine incestus consummati, sondern nur attentati zuhalten"54 sei. Das
hat für die rechtliche Bewertung der Tat und das aufzuerlegende Strafmaß weitreichende
Konsequenzen.

Das gemeine Recht vertrat grundsätzlich die Bestrafung des Versuchs (conatus)
bei allen Delikten. Doch waren die italienischen Kriminalisten, und ihnen folgten die
gemeinrechtlichen Autoren im Reich, der Auffassung, dass ein Versuch milder bestraft
werden müsse als eine vollendete Tat, und dass beim Versuch nicht die vom
Gesetzgeber vorgeschriebene poena ordinaria, sondern eine poena extraordinaria,
d.h. nach dem Ermessen des Richters festzusetzende Strafe, verhängt werden solle.55
Auch Benedikt Carpzov, der wohl bedeutendste und maßgebliche Jurist der gemeinrechtlichen
Epoche im Reich,56 schloss sich dieser Meinung unter Berufung
auf den Italiener Julius Clarus an: „Quamvis autem verba Julii Clari per se clara et
manifesta sint, et ab omnibus facillime intelligi queant, melioris tarnen explicationis
gratia ex iis Regula talis formari potest: Quod scilicet in omnibus et quibusvis delictis
, sive sint atrocissima, sive non, Conatus, quantumvis ad actum proximum fuerit
deventum, ordinaria cuiusvis delicti poena non debeat puniri".57 Die vorherrschende
Meinung ging dahin, dass bei außerordentlichen Strafen nicht die Todesstrafe verhängt
werden könne. Diese sollte nur zur Anwendung kommen, wenn sie durch das
Gesetz ausdrücklich vorgeschrieben war.58

Der Freiburger Rat hat diese juristischen Grundsätze gekannt. Er unterzog Kühn-

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