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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
121.2002
Seite: 75
(PDF, 49 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2002/0075
den könne.113 Bis ins 13. Jahrhundert war das prozessuale Beweisrecht in Europa
formaler Natur gewesen und hatte nicht auf eine Ergründung der materiellen Wahrheit
im rationalen Sinne abgezielt. Hauptsächliches Beweismittel im mittelalterlichen
Parteienprozess war der Reinigungseid des Angeklagten mit Eideshelfern, die
nicht die Wahrheit an sich bezeugten, sondern lediglich, dass der vom Angeklagten
geleistete Eid „rein, und nicht mein" sei. Unfreien und übel Beleumundeten war der
Weg des Reinigungseides verschlossen, weshalb sie sich einem Gottesurteil unterziehen
mussten.114 Unter dem Einfluss der Verwissenschaftlichung des Rechts seit
dem 12. Jahrhundert durch die Bearbeitung des römischen Rechts in Form der Kompilation
Justinians, insbesondere der wieder aufgefundenen Digesten, sowie des
Decretum Gratiani und der päpstlichen Dekretalen, vollzog sich ein Wandel im Prozessrecht
, der eine Erforschung der materiellen Wahrheit und eine rational begründete
Überführung des Delinquenten möglich machte. Im sogenannten Inquisitions-
prozess, der durch Innozenz III. in der Kirche eingeführt wurde und den eine Reihe
europäischer Staaten und Gemeinwesen teilweise nach gleichgerichteten Entwicklungstendenzen
übernahm, wurde der Reinigungseid als prozessuales Beweismittel
zurückgedrängt zugunsten eines anderen Beweisverfahrens, für das nur die Aussagen
von wenigstens zwei Tatzeugen oder ein Geständnis zugelassen waren.115 Dieses
Verfahren zeichnete sich einerseits durch einen verbesserten Schutz des Angeklagten
aus, da die beweisrechtlichen Schranken für eine Verurteilung sehr hoch gelegt
waren. Andererseits lag in ebendiesem Schutz die Ursache für die Anwendung
der Folter, da bei Fehlen zweier guter Zeugen ein Geständnis, wenn notwendig durch
die Tortur erpresst, beigebracht werden sollte. Diese Vorgehensweise findet ihre Bestätigung
auch in der Carolina, die den Straßburger Gutachtern in punkto Beweisführung
als Grundlage für ihre Konsilien diente. Für den Beweis eines Vergehens
müssen mindestens zwei Tatzeugen beigebracht werden (Art. 67). Sollte dies nicht
möglich sein, muss unbedingt ein Geständnis des Missetäters erwirkt werden, zur
Not erzwungen durch die „peinliche Frage". Wer nicht durch zwei Tatzeugen überführt
wird, darf nicht direkt zu peinlicher straf verurteilt, sondern nur peinlich befragt
werden (Art. 22). Um den Verdächtigen foltern zu dürfen, muss eine ganze
Reihe von Indizien {redliche anzeygung) vorliegen (Art. 20), die heutzutage wohl
schon zu einer Verurteilung ausreichen würde. Selbst bei erfolgtem Beweis der
Schuld durch Tatzeugen wurde in der Carolina immer noch nahegelegt, ein Geständnis
zu erwirken, auch wenn es in diesem Fall nicht mehr absolut notwendig war.
Matthias Schmoekel sieht hierin ein „atavistisches Verständnis" der Einwilligung
des Angeklagten in seine eigene Verurteilung mitschwingen.116 Wahrscheinlicher ist
es jedoch, dass es sich dabei mehr um die Erbringung eines letzten Beweises handelte
, durch den die Schuld ,so klar wie das Tageslicht'117 sein sollte. Auch der vermeintliche
Schutz des Angeklagten steht wieder im Vordergrund, da er eben lediglich
auff eynicherley anzeygung, argkwons warzeichen, oder verdacht (Art. 22) hin
verurteilt werden soll. Die Sorge, eine große Sicherheit zu besitzen, dass der Verurteilte
auch wirklich schuldig ist, fällt jedoch bei den Straßburger Juristen fast vollständig
weg. Ihrer Ansicht nach ist die Schuld Barthel Kühnlins offensichtlich und
eigentlich schon erbracht, von einer hypothetischen Unschuld ist keine Rede mehr.
Jedes Leugnen wird als Bosheit und Spott eines gottlosen Menschen gegenüber Gott

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