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und der Obrigkeit ausgelegt. Versuche, sich durch das Vorliegen von Trunkenheit zu
entlasten, werden als „Tergiversieren", d.h. Suchen von Ausflüchten, bezeichnet;
Kühnlin solle „Gott und der obrigkeit endtlich die ehre geben, und dieße von ihm
begangenen missethaten" bekennen.118 Das Geständnis scheint bei den Straßburger
Juristen eine ausschließlich formal-prozessuale Funktion zu haben, die jedoch zwingend
und rechtlich erforderlich ist: „Barthel Kühnlin, über welchen und denen
wider ihn beybrachten indicien auch deren erweiß [...], denen rechten nach, erkannt,
dass in ansehen solcher wider ihn Barthel Kühnlin beybrachter indicien Wichtigkeit
und gewißheit, dass er mit seiner jüngern tochter Maria [...], Unzucht und bluth-
schand so viel an ihm, würcklichen verübet und vollbracht, und aber zu einem rechtmäßigen
endurtheil zu gelangen, einig annoch an seiner mehr categorischen bekant-
nuß ermangle".119 Diesen Umstand könnte man als das Ergebnis eines Bedeutungsverlustes
des Geständnisses als Beweismittel ansehen, das jedoch noch aus formalrechtlichen
Gründen erforderlich ist. Das Verhältnis von Indizien und Folter hat sich
mit der Zeit umgekehrt: Die Indizien dienen nun nicht mehr dazu, die Folter und somit
die Erpressung eines Geständnisses zu ermöglichen, sondern das Geständnis
dient dazu, den Indizien, die nach Meinung der Juristen für einen Schulderweis
schon ausreichen, volle Beweiskraft zu verleihen.
Die Urteile
Die Urteile gegen Barthel und Franz Kühnlin sind in den Ratsbüchern der Stadt Freiburg
erhalten, von letzterem ist zudem die Urfehde überliefert.120 Die Ratsbücher
enthalten jedoch keinen Hinweis darauf, ob die Schwestern Kühnlin tatsächlich, wie
von den Straßburger Rechtsgelehrten vorgeschlagen, aus der Stadt gewiesen wurden.
Zu ihnen gibt es in den Ratsbüchern keinen Hinweis.
Bei der Urteilsfindung hielt der Freiburger Rat im Fall Barthel Kühnlin an seiner
eigenen Interpretation, dem nur versuchten Missbrauch, fest: „Auff die wider Bartie
Kuenlin von Zarten vorgenommene inquisition undt seine erfolgte bekhantnus, wie
er beede töchter nit zuesammen, sondern die jüngere zue sich undt die eitere zue seinem
söhn undt er der vatter aber sich auff sein töchterlin geleget, sein mannlich glied
in das seinige gethan, aber nit wissen undt eigentlich sagen kinde, ob er mit ihme
das werckh vollbracht, ist über solche seine ärgerliche mißhandlung zue recht er-
khanth, dass er zue seiner wohl verdienten straff undt anderen zue einer denckhwir-
dig exempel auff die galleren auff 8 jähr verdamnet undt ohnbey des landes auff ewig
verwisen sein solle, mit dem ahnhang, da er sich dem orth widerumben einfinden
würde, er als dann ohne fernere urthl und recht mit dem Schwert vom Leben zum
tod gebracht, und gestrafft [...] wird, und dies von rechtes wegen".121
Während also das Urteil gegen Barthel Kühnlin milder ausfällt und nicht die von
den Straßburger Gutachtern geforderte Todesstrafe verhängt wird, wird bei Franz
Kühnlin hingegen eine Strafverschärfung vorgenommen. Für ihn hatten die Gutachter
eine Schand- und Leibesstrafe und die Landesverweisung vorgesehen:
„Schließen aber und erkennen, secundum acta et probata nobis cum communicata;
vor recht, dass er Frantz Kühnlin, wegen so thaner von ihm begangenen und, wie
rechtens, auff ihn erwießenen mißhandlung [...] so wohl, zu verdienter straff, alß in
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