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nähere Begründung die Liaison beendete. Fränze, sehr getroffen, kommentierte fassungslos
: „Es ist so, daß ich mich vor ihm breche."30
Kaum aus der Klinik entlassen, musste sich Fränze um ihre Mutter sorgen, die als
„Politische" im August 1933 ohne Verfahren für drei Wochen im städtischen Gefängnis
, von ihr selbst seines Grundrisses wegen mal „Kaffee Sechseck", seines
,Komforts' wegen mal „Palasthotel" genannt, in „Schutzhaft" genommen und in
eine Einzelzelle gesperrt worden war. Zweimal wöchentlich durfte Fränze sie besuchen
und ihr etwas zu essen, vor allem aber die ersehnten Bücher aus der Universitätsbibliothek
bringen.31
Ab 1933 wurde für sie die Situation an der Universität aus vielen Gründen unerträglich
und es war monatelang unklar, ob sie als „Nichtarierin" ihr Studium überhaupt
zum Abschluss würde bringen können.32 Auch die akademische Laufbahn
ihres Doktorvaters war äußerst gefährdet, da seine Existenz als „nichtarischer" Professor
an der Heideggerschen „Führeruniversität" massiv in Frage gestellt wurde.33
Am 6. April 1933 suspendierte ihn die badische Regierung zusammen mit seinen
jüdischen Kollegen und (sehr wenigen) Kolleginnen aufgrund des berüchtigten
„Gesetz(es) zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums". Diese „Beurlaubung"
wurde aber am 11. Mai wieder ausgesetzt. Zwei Monate später verlautete dann aus
dem Kultusministerium, das Gesetz könne auf ihn keine Anwendung finden, da er
bereits vor dem 1. August 1914, also vor Beginn des Ersten Weltkrieges, planmäßiger
Beamter gewesen sei.34 Am 21. September musste Brie ebenso wie seine verbliebenen
Kollegen die Kenntnisnahme einer Verlautbarung des badischen Kultusministers
Otto Wacker quittieren, wonach „infolge des landesverräterischen Charakters
der sozialdemokratischen Bestrebungen diese Partei als ebenso staatsfeindlich
bewertet werden (müsse) wie die kommunistische Partei" und daher u. a. für
Beamte „jede auch nur lose Verbindung zu diesen Parteien unmöglich" sei.35 Brie
unterzeichnete - und hielt noch über Jahre Kontakt zu allen drei Vordtriedes, obgleich
die politischen Aktivitäten von Fränzes Mutter allseits bekannt waren.36 Er
betreute nicht nur weiter Fränzes Arbeit, die schon allein aufgrund ihrer Themenstellung
den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge gewesen sein muss, sondern er
unternahm mit ihr zusammen Ausflüge und vermittelte ihr auch eigene Privatschüler
, um ihr spärliches Budget aufzubessern.37 Fränze, Käthe und Werner Vord-
triede waren sich der Gefahr sehr bewusst, welcher sich Friedrich Brie damit aussetzte
. In ihren Briefen taucht sein Name äußerst selten und nur in unverfänglichen
Zusammenhängen auf. Für die übrigen Passagen hatten sie sich auf „Violinschlüssel
" als Codewort geeinigt. Mit Erfolg: Offenbar war es der Zensur nicht möglich,
dieses Kürzel - neben dem ausgeschriebenen Begriff verwandten sie auch das Symbol
- zu identifizieren.38
Wie ein Damoklesschwert hing die drohende Verhängung eines Promotionsverbotes
über Fränze. Tatsächlich musste sie sich im Wintersemester 1933/34 exmatrikulieren
. Alle Versuche, diesem Schritt zu entgehen, waren ebenso fehlgeschlagen
wie die Hoffnung, der Einsatz von Vater und Großvater in den beiden vergangenen
Kriegen für das „Vaterland" könne die verantwortlichen Entscheidungsträger milde
stimmen.39 Dennoch zeigte sich im persönlichen Gespräch ein letzter Hoffnungsschimmer
und sie verkündete freudig ihrem Bruder: „Die Exmatrikel ist jetzt doch
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