http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2002/0215
Am 30. September 1930 erhielt das Musikseminar die Berechtigung, sich „Staatlich
anerkannte Musiklehranstalt" nennen zu dürfen. Der vom Ministerium versprochene
Beitrag traf ein und wurde zur Instandsetzung des Gebäudes sowie zum
Kauf von Noten, Instrumenten und Schallplatten verwendet. Genauestens wurde
über jede Ausgabe Buch geführt, so auch über das 1932 angeschaffte „Neue Chorbuch
", das wegen seiner Texte und seiner „atonalen" Musik vom Kultusministerium
missbilligt wurde. Bereits im Jahr zuvor hatte nach dem „Türmer" auch „Der Alemanne
" - ein 1931 gegründetes nationalsozialistisches Kampfblatt, dessen Schriftleiter
der spätere Kreisleiter und Freiburger Oberbürgermeister Dr. Franz Kerber
war, - eine Hetzkampagne gegen das von Erich Katz herausgegebene Chorbuch
veranstaltet, da es „an Gemeinheiten seinesgleichen sucht". Bei dem „Neuen Chorbuch
" handelte es sich jedoch nicht um ein „sittenverderbendes" Werk, sondern um
eine Anthologie mit neuer Chor- und Ensemblemusik, zum Teil von Katz komponiert
, ein Lied hatte Doflein beigetragen. Die anstößige Stelle des Chansons
stammte von Erich Kästner, die Melodie dazu von Wolfgang Fortner, der zu dieser
Zeit Lehrer am evangelischen kirchenmusikalischen Institut in Heidelberg war. Das
Chorbuch sorgte noch monatelang für heftige Kontroversen. Offensichtlich trug die
wirtschaftliche Krise zur politischen Radikalisierung bei, sonst wäre es den Nationalsozialisten
nicht gelungen, bereits in den Jahren vor dem „Dritten Reich" so starken
Einfluss zu nehmen. Schwierige Zeiten waren es tatsächlich: Im Juni 1932, als
die Zahl der Arbeitslosen auf rund 18 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung angestiegen
war, musste sich Erich Doflein bei der Eröffnung des neuen Trimesters
fast schon entschuldigen, dass überhaupt noch Musiklehrer ausgebildet wurden. Er
betonte ausdrücklich, „daß es nicht das Ziel des Instituts sei, die Stadt Freiburg mit
zahllosen, sich gegenseitig das Brot wegnehmenden Musiklehrern zu füllen".11
„Arische" und „Nichtarische" Dozenten in den Fängen der
Nationalsozialisten
Zunächst ungeschoren blieb das Musikseminar beim Übergang in die neue Ära des
Nationalsozialismus. Doch dann machten sich im März erste Auswirkungen bemerkbar
. Musik hat ja nicht nur eine kulturelle Seite, sondern auch eine politische.
Dies zeigte sich sowohl im „Dritten Reich" als auch später in der französischen Besatzungszeit
. ,Blendend' verstanden es die Nationalsozialisten, die Musik für ihre
Zwecke einzusetzen und die Menschen zu manipulieren.
Zu den ersten Amtshandlungen der Nationalsozialisten gehörte der Austausch von
nicht genehmen Amtsleitern. So zog statt Oberbürgermeister Dr. Bender, der im
April 1933 resignierte und sein Amt aufgab, Kreisleiter Franz Kerber als neuer gewählter
' Oberbürgermeister ins Rathaus ein. Er hielt auch gleich einiges an der Leitung
des Musikseminars für veränderungsbedürftig, ebenso wie der „Alemanne", der
bereits im April 1933 unverbrämt auf die an der Musikschule lehrenden „nichtarischen
" oder sonst unliebsamen Dozenten hinwies, die „ein Musterbeispiel des alten
,Regiments'" darstellten.12 Doflein war allerdings nicht „getaufter Jude", wie der
Artikel im „Alemannen" behauptete, lediglich seine Frau Elma, eine geborene Axen-
feld, hatte jüdische Vorfahren: eine jüdische Urgroßmutter (!) namens Friedländer.
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