http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2002/0259
stern bezog, sondern in erster Linie auf die Selbstverpflichtung zur Unterstützung des militärischen
Sanitätsdienstes im Kriegsfall. Für die Motivation, dem Verein beizutreten und ehrenamtliche
Wohltätigkeitsarbeit zu leisten, dürfte der Gedanke, zum „Lebenswerk" der Landesfürstin
beizutragen, eine entscheidende Rolle gespielt haben. Dies geschah wohl nicht immer
freiwillig, denn für die mehrheitlich verheiratete Klientel aus bürgerlichen Kreisen
bedeutete die Mitgliedschaft auch ein soziales „Muss", verbunden mit der Gewissheit öffentlicher
Anerkennung.
Von Anfang an griff der Verein auf das Fachwissen und die Erfahrung von staatlichen Beamten
, Bürgermeistern, aber auch Pfarrern beider Konfessionen zurück, die als Beiräte die
Verwaltung der Zweigvereine organisierten und die Korrespondenz mit den Behörden übernahmen
. Spätestens hier wird die „Frauengeschichte" zur Geschlechterstudie, denn Lutzer beleuchtet
die Interaktionen zwischen männlichen Beiräten und weiblichen Mitgliedern auch im
Hinblick auf die Frage, inwieweit sich die Trennungslinie zwischen privater (= weiblicher)
und öffentlicher (= männlicher) Sphäre aufrecht erhalten ließ. Auch wenn sich der Verein stets
dezidiert von der bürgerlichen Frauenbewegung distanzierte und Forderungen nach politischer
oder juristischer Gleichstellung strikt ablehnte, erhielten Frauen doch gerade hier die Möglichkeit
, ihre als „wesensgemäß" apostrophierte häuslich-karitative Aufgabe vor aller Augen
wahrzunehmen und dabei Kompetenzen zu erwerben, über die sie de facto der politischen
Gleichstellung einen Schritt näher kommen sollten. Auf ihre Erfahrungen und Kenntnisse
konnte der Staat jedenfalls schon bald nicht mehr verzichten. Ohne dies intendiert zu haben,
trug der Badische Frauenverein damit erheblich zur Erlangung der politischen Partizipation
bei, wie sie von der Frauenbewegung längst gefordert wurde.
In ihrer detailreichen Studie untersucht Lutzer nicht nur die Klientel der interkonfessionellen
und schichtübergreifend angelegten Organisation, sondern auch das Vereinsleben in den
jeweiligen Ortsverbänden, wobei sie die makrogeschichtliche Perspektive keineswegs aus den
Augen verliert. Schließlich stellt sie die unterschiedlichen Aufgabengebiete der kleinteiligen
und wohl auch deshalb so erfolgreichen Massenorganisation vor. In der sozialen praktischen
Gemeindearbeit konnten und sollten Frauen ihre Pflichten gegenüber der Gesellschaft und
dem Staat erfüllen, weit entfernt von dem Gedanken, an die zeit- und geldaufwändigen Aktivitäten
emanzipatorische Forderungen zu knüpfen. Dennoch blickte so manche Vertreterin der
bürgerlich-gemäßigten Frauenbewegung neidisch auf die Vorgänge im Großherzogtum. Allerdings
können die seit den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts gerade in Baden erzielten Erfolge
auf dem Weg zur gleichberechtigten akademischen Frauenbildung am wenigsten dem Verdienst
des Badischen Frauenvereins zugeschrieben werden. Hier scheint die Organisation weit
hinter der fortschrittlichen Regierungspolitik zurückgeblieben zu sein, denn die Forderungen
der Frauenbildungsbewegung wurden schrittweise bis Februar 1900 erfüllt. Die Frage, ob die
Mitglieder des Vereins, in der überwiegenden Mehrheit verheiratet und meist bürgerlicher
Herkunft, tatsächlich den Beruf der Handarbeitslehrerin, der Erzieherin oder der Krankenschwester
für ihre Töchter erstrebten, sie auf die Handelsschule, nicht aber zur Universität
schicken wollten, bleibt auch nach Lektüre der Publikation unbeantwortet.
Die Studie erstreckt sich über einen Zeitraum von fast 60 Jahren. Sie setzt mit der Gründung
des Badischen Frauenvereines im Jahr 1859 ein und endet mit dem Untergang der Monarchie
. Leider werden die vier Kriegsjahre nur kursorisch abgehandelt, obwohl beim allmählichen
, zum Ende des Ersten Weltkriegs hin sich rasant beschleunigenden Zusammenbruchs
des bürgerlichen Wertesystems, gerade in einem Verband wie dem Badischen Frauenverein,
heftige Verwerfungen zu erwarten gewesen wären. Von derartigen Desideraten abgesehen ist
es der Autorin überzeugend gelungen, die Funktionsweise eines bedeutenden Frauenverbandes
aufzuschlüsseln, dessen Erfolgsrezept nicht nur in der systematischen Nutzung unterschiedlichster
Ressourcen, sondern auch in der geschickten „Verknüpfung übergreifender
259
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2002/0259