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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
122.2003
Seite: 97
(PDF, 58 MB)
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ten Vaters damit zusammenhängen. Der auf seinem Altenteil als Leibgedinger wohnende ehemalige
Dreherbauer war im März 1843 gestorben. Nach Todesfällen und möglichen Spannungen
innerhalb einer Familie konnte jemand schon mal die familiäre Unterstützung verlieren
und zum Sozialfall werden. Der Aufenthalt in einem Korrektionshaus zeigt jedenfalls den tiefen
sozialen Absturz. Theresia Thoma schien 1844 vom Pech verfolgt zu sein. Durch einen
Beinbruch Ende 1844 verunglückt, musste sie mit ihren Kindern wieder von der Gemeinde
Steig unterstützt werden. Die Gemeindeversammlung beschloss am 26. Dezember 1844, dass
sie ab 1. Januar 1845 im Kehr verköstigt und verpflegt werden sollten und bestimmte, dass
Theresia Thoma mit ihrem jüngsten, fast dreijährigen Kind in einem anderen Haus den Kehr
zu beginnen hätte als die drei älteren Kinder. Alter ist hier relativ: Martina Thoma (geb. 1835)
war neun, Robert Thoma (geb. 1837) sieben und Aloysia Thoma (geb. 1839) erst fünf Jahre
alt. Anders als bei der oben erwähnten ledigen vierfachen Mutter Meier durfte in diesem Fall
die Familie nicht zusammen bleiben. Theresia Thoma wurde also von den drei älteren Kindern
getrennt. Die Gründe dafür bleiben im Dunkeln.

Klar ist jedoch, dass der Kehr eine abschreckende Wirkung haben sollte, damit nicht zu viele
Personen sich auf Kosten der Gemeinde Nahrung und Unterkunft beschaffen konnten. Ob Theresia
Thoma nun ihre Kinder nicht richtig ernähren konnte, betteln ging, als arbeitsscheu galt
oder auch alle Gründe für eine Korrektionsstrafe zusammen auftraten, und sie zudem mit ihren
vielen unehelichen Kindern als nicht sittlich genug angesehen wurde: Es dürfte jedenfalls dazu
geführt haben, dass ihre Mitbürger ihren Fall in der Gemeindeversammlung nicht mit Milde
lösten, sondern für sie die verschärfte Version des Kehr anordneten. In den geschilderten Fällen
mussten alte, arbeitsunfähige oder geistig behinderte Einzelpersonen in den Kehr sowie
Familien, in denen der männliche Ernährer nicht vorhanden war. Wie sah es nun mit kompletten
Familien aus, konnten die mit einer anderen Behandlung durch die Gemeindeversammlung
rechnen?

Soziale Abschiebungen und die Behandlung
verarmter kompletter Familien

Zunächst kann man feststellen, dass es die Gemeindeversammlung gerne sah, wenn ledige
Frauen mit unehelichen Kindern heiraten wollten. Insbesondere unterstützte sie den Heiratswunsch
, wenn der Bräutigam in einem anderen Ort ansässig war. So wie bei der als heiratslustig
beschriebenen Ester Hoch (geb. 1820), die einen Mann aus dem benachbarten Viertäler
ehelichen wollte. Viertäler ist heute ein Teil von Titisee-Neustadt. Die Gemeinde Steig hatte
im Mai 1847 beschlossen, Ester Hoch eine Aussteuer von 100 Gulden aus der Gemeindekasse
zu bewilligen, wenn sie mit ihren Kindern in Viertäler bürgerliche Aufnahme erhalten sollte.
Wenn sie und ihre Kinder dann zu Viertäler gehören würden, wäre die Kasse dieser neuen Gemeinde
für die soziale Unterstützung zuständig. Sollte z.B. der Ehemann sterben, wäre Viertäler
in der Pflicht und nicht mehr die Gemeinde Steig. Diese Form der sozialen Abschiebung
über die Gemeindegrenzen hat offensichtlich nicht funktioniert. Eine Ehe kam nicht zustande.
Die Gemeinde Viertäler scheint sich gegen die bürgerliche Aufnahme und damit auch gegen
die Ehe ausgesprochen zu haben. Ende Dezember 1850 jedenfalls war Steig immer noch für
die Ortsarme Hoch zuständig. Die Gemeindeversammlung beschloss, die zu dieser Zeit her-
bergslose Hoch in den Kehr zu nehmen.11

Wie in Steig so existierte auch in anderen Gemeinden das Phänomen der sozialen Abschiebung
. In der Nachbargemeinde Hinterzarten bewilligte die Gemeindeversammlung im September
1850 einer Frau mit drei unehelichen Kindern die nötigen 159 Gulden, damit sie sich
nach Eisenbach verehelichen könne. Genau wie in Steig funktionierte diese soziale Abschie-

" GAB 578.

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