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zember 1846 verloren. Es war in der Zeit nicht ungewöhnlich, dass in einer Mühle sowohl gewohnt
als auch gearbeitet wurde. Die guten Zeiten des Löffelschmiedgewerbes, die noch 1832
bei der Verehelichung von Anton Feser geherrscht hatten, waren 1846 vorbei. Das Löffelschmiedgewerbe
kränkelte und nahm einen immer weiteren Abschwung, bis es in den 1860er-
Jahren in Steig ganz erlosch. Gewöhnlich waren die Löffelschmiedfamilien in Steig und Hinterzarten
sehr kinderreich. Anton Fesers Frau brachte 7 Kinder zur Welt. Am 20. Dezember
1846 beriet die Gemeindeversammlung über die Unterbringung dieser Familie. Der Käufer der
Wohnmühle erklärte sich bereit, die Familie unentgeltlich dort wohnen zu lassen. Die Gemeinde
wies Feser deshalb an, mit Familie in seine ihm früher gehörende Wohnmühle zu gehen
. Für den Fall, dass er sich weigern sollte, dort einzuziehen, drohte die Gemeindeversammlung
, die Familie Feser wie die übrigen Ortsarmen in den Kehr zu nehmen. Der soziale
Absturz Fesers war unverkennbar. Aus einer wohlhabenden, in Steig und Hinterzarten weit verbreiteten
Löffelschmiedfamilie stammend, musste er nicht nur verarmt seinen Status als Besitzer
einer geräumigen Wohnmühle und anderer Immobilien aufgeben, sondern war auf die
Gnade des Käufers der Mühle angewiesen, dort mietfrei wohnen zu dürfen. Es dürfte für ihn
demütigend gewesen sein, in seinem ehemaligen Besitz wohnen zu müssen. Trotzdem war ihm
durch das Zugeständnis des Käufers der totale Absturz in den Kehr erspart geblieben. Eine
Dauerlösung war das nicht, denn die unentgeltliche Überlassung der Wohnung brachte dem
neuen Besitzer keinen wirtschaftlichen Nutzen. Ende März 1849 beriet daher die Gemeindeversammlung
über die weitere Beherbergung der jetzt als notorisch arm bezeichneten Feser-
schen Familie. Der Bürgermeister stellte den anwesenden Gemeindebürgern die Frage, ob sie
die Familie in den Kehr schicken oder ihr zu einem günstigen Preis für ein Jahr eine Wohnung
mieten wollten. Sämtliche anwesenden Bürger sprachen sich für die Miete aus. Der Gemeinderechner
Franz Josef Hug (1800-1875) erklärte, für 16 Gulden und 12 Kreuzer aus der Gemeindekasse
die Familie ein Jahr lang beherbergen zu wollen. Der Familienvater Feser hatte
noch genügend sozialen Rückhalt bei seinen Mitbürgern: Sie ersparten ihm und seiner Familie
den Kehr. Zwei Jahre später schrieb der Ratschreiber am 11. April 1851 im Gemeindeversammlungsprotokoll
beim nächsten Eintrag zur Familie Anton Feser, dass sie wieder an Jemand
in Herberge zu verpachten ist. Wieder „pachtete" der gleiche Franz Josef Hug zum gleichen
Preis die Familie für ein Jahr. In den eingesehenen Quellen ist kein Hinweis zu entdecken,
dass die steuerpflichtigen Bürger Steigs Anton Feser und seine Familie jemals in den Kehr geschickt
haben.16
Mobilität und Unterschicht -
der Fall der Familie des Jacob Gärtner und seiner Frau Catharina Rombach
Wenn die Gemeindeversammlung wollte, konnte sie aber durchaus auch ganze Familien in den
Kehr schicken, wie der Fall des Jacob Gärtner (geb. ca. 1799) und seiner Familie zeigt. Im Gegensatz
zu Anton Feser, der aus sozial guten Verhältnissen nach unten in die Armut absank,
bewegten sich Jacob Gärtner und seine Frau Catharina Rombach (geb. 1801) sozial im Bereich
der Unterschichten. An dieser Familie kann man sehr gut den Zusammenhang von Mobilität
und Unterschichten ablesen. Anders als bei den oben aufgeführten Beispielen für zwangsweise
Mobilität innerhalb eines Ortes durch den Kehr lässt sich bei dieser Familie zusätzlich die
Mobilität außerhalb der Gemeinde darstellen, denn in Catharina Rombach liegt der seltene Fall
vor, dass man über mehrere Jahrzehnte die Mobilität dieser Unterschichtsangehörigen nachvollziehen
kann.
Als grundsätzliche Annahme gilt: Je weiter unten jemand in der sozialen Hierarchie stand,
desto mobiler musste diese Person sein. Dies bezieht sich sowohl auf die Personen, die ihr
16 GAB 578. Hitz (wie Anm. 12), S. 352-362.
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