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eine Periode der Massenauswanderung. In Krisenjahren wie 1832/33, 1846/47 oder 1852/54
kam es zu Auswanderungshochs. Dazwischen liefen die Auswanderungen kontinuierlich weiter
. Auswanderung war immer eine kostenträchtige Angelegenheit. In den 1830er- und 1840er-
Jahren mussten ausreisewillige Ortsarme zur Finanzierung der Reise entweder finanzkräftige
Verwandte haben oder eine Heimatgemeinde, die ihnen die Atlantikpassage samt nötiger Lebensmittel
bezahlte.27 In dieser Zeit beschränkte sich die Rolle des Staates auf die Beaufsichtigung
und ratgeberische Förderung der Auswanderung. Erst die Krisen- und Hungerzeit
1846/47 löste eine veränderte Haltung des Staates aus. Zum einen musste der plötzliche große
Auswanderstrom administrativ bewältigt werden. Zum anderen explodierten in diesen Jahren
die Armenlasten der Gemeinden und des Staates. Nach einer Verordnung von 1819 sollte die
Unterstützung der Armen zuerst durch Gemeindeumlagen sichergestellt werden. Erst wenn das
nicht gelang, hatte die Amtskasse, also die staatliche Verwaltung des Inneren, einzuspringen.
Der Armenaufwand des badischen Staates hatte sich 1847 durch die Krise im Vergleich zu
1845 mehr als verdoppelt. Zur Minimierung der Armenlasten beteiligte sich daher erstmals ab
1849 der Staat an der Finanzierung der Auswanderung. In der ersten Hälfte der 1850er-Jahre
kam es so zu einer systematischen staatlichen Subventionierung der Auswanderung aus dem
Großherzogtum. Seit den Budgetjahren 1854/55 und 1855/56 stand die Auswanderung aber
nicht mehr im Vordergrund der Armenpolitik. Der badische Staat zahlte zwar noch Beihilfen
zur Auswanderung, aber in geringerem Umfang und nach strengeren Kriterien. Stattdessen
rückte nun eine verstärkte Landwirtschafts- und Gewerbeförderung sowie der Schul- und
Infrastrukturausbau in den Mittelpunkt der Politik. Je mehr sich der badische Staat mit dieser
inneren Wirtschaftsförderung beschäftigte, desto mehr mussten wieder die Gemeinden die
Kosten für die Auswanderungen übernehmen. Ab 1866 hörte der badische Staat ganz auf, sich
direkt in die Auswanderung einzumischen und beschränkte sich nur noch auf die Kontrolle
der für die Auswanderung zuständigen Gemeinden.28
In Steig musste sich 1840 der Ortsarme Jacob Gärtner also an die Gemeinde wenden und
nicht an den badischen Staat, wenn er Unterstützung für die geplante Auswanderung erhalten
wollte. Vor einer Anfrage an die Gemeinde erkundigte er sich bei einem privaten Organisator
von Auswanderungen nach den Bedingungen und Kosten. Gärtner hatte sich an den Kronenwirt
Leonhard Maurer gewandt, der im zum Amt Kenzingen gehörenden Niederhausen mit seinem
Bruder in diesem Geschäftsfeld tätig war. Sie waren beide Schiffsführer und firmierten
unter Gebrüder Maurer Schiffer & Comp. Der Kronenwirt schrieb Gärtner im November 1840,
dass die Möglichkeit, das Geld für die Reise von reichen Pflanzern auf der Insel Trinidad als
Vorschuss zu erhalten, derzeit nicht gegeben sei. Das wäre natürlich die günstigste Art und
Weise für arme Leute gewesen, eine Auswanderung durchzuführen, wenn ein zukünftiger Arbeitgeber
die Kosten im Voraus beglichen hätte. Maurer riet Gärtner davon ab, über die französische
Hafenstadt Le Havre auszureisen und pries ihm statt dessen die günstigere Route von
Niederhausen per Schiff nach Rotterdam an, um von da aus nach Amerika zu gelangen. Er
warb in einem mitgeschickten Informationsblatt für die Schiffsfahrt auf dem Rhein. Auf seinen
Schiffen sei es billiger, da im Vergleich zur Landreise die teuren Aufenthalte in Frankreich
in den Gasthöfen wegfielen. Er warb damit, dass die Schiffe gedeckt, also überdacht, seien.
Man schlief somit auf dem Schiff. Um die Transportkosten günstig zu halten, soll bei ihm jeder
sein Bettzeug und seine Nahrungsmittel selber mitnehmen. Anders jedenfalls als nach Le
Havre, wohin man kaum Lebensmittel mitnehmen könne, und sie dort zu sehr teuren Preisen
kaufen müsse. Deshalb käme es dort häufig zu unkalkulierbaren Kosten für die Auswanderer.
Das würde bei ihrer Gesellschaft nicht vorkommen, die Transportpreise auf dem Rhein und
27 Boelcke (wie Anm. 10), S. 154.
28 Eugen von Philippovich: Die staatlich unterstützte Auswanderung im Grossherzogtum Baden. In: Archiv für soziale
Gesetzgebung und Statistik 5, 1892, S. 27-69, hier S. 27, 35-36, 46-47 und 66-69.
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