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rungswunsch von Thoma, machte sich aber Illusionen über eine teilweise oder völlige Übernahme
der Auswanderungskosten durch den badischen Staat. Die Gemeinde beschloss im Oktober
1866, die Kosten der Auswanderung erst 1867 zu übernehmen, einen Überfahrtsvertrag
mit einem Auswandereragenten abzuschließen und einen Zuschuss beim Staat zu beantragen.
Letzterer dürfte jedoch kaum bewilligt worden sein. Die Gemeindebürger und in diesem Fall
auch der Staat sahen es als eine Lösung an, Personen, die durch abweichendes Verhalten aufgefallen
waren, nach Amerika auswandern zu lassen.35
Der Kehr als innerörtliche Wanderung war, wie bei Jacob Gärtner zu sehen, nur eine Vorstufe
zur Auswanderung. Der Kehr sollte der günstigen Versorgung von Ortsarmen dienen. Er
war aber genauso ein Mittel zur sozialen Disziplinierung von Ortsarmen, denen häufig Vergehen
wie Unsittlichkeit, Arbeitsscheu oder Müßiggang vorgeworfen wurden. Die Gemeinde
hatte relativ großen Handlungsspielraum bei der Unterstützung von Ortsarmen. Wer genug sozialen
Rückhalt bei den steuerpflichtigen Gemeindebürgern besaß, konnte als Ortsarmer um
den Kehr herumkommen. Den Kehr im Ort sah der badische Staat nicht gerne. Er konnte zwar
mahnen und Druck auf die Gemeindevertreter ausüben, aber verhindern konnte er den Kehr
nicht. Die Zuständigkeit für die Armenpflege und deren Finanzierung lag in Händen der einzelnen
Gemeinde.
Es zeigte sich, dass Personen umso mobiler sein mussten, je weiter unten sie in der sozialen
Hierarchie standen. Mobilität gehörte zum Lebensalltag der Unterschichtsangehörigen im
19. Jahrhundert.
35 GAB 415.
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