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samtbild über die Einstellung aller deutschen Universitäten zum Frauenstudium erstellen und
erkundigte sich bei den anderen Rektoren, welche Haltung an den jeweiligen Hochschulen vorherrsche
und ob bereits Studentinnen oder Hörerinnen zugelassen seien. Dieselben Fragen
stellte er auch den eigenen Fakultäten. Deren Antworten fielen, abgesehen von derjenigen der
Theologischen, mehrheitlich positiv aus - verbunden allerdings mit der Einschränkung, der
Ruf einer „Frauenuniversität" müsse unbedingt vermieden werden. Der drohe sich aber einzustellen
, wenn nur die badischen Universitäten sich dem Frauenstudium öffneten. Diese Gefahr
für den wissenschaftlichen Nimbus gelte es um jeden Preis abzuwenden, was sich vorläufig
am besten mit der Verweigerung der Frauenzulassung bewerkstelligen ließe.25
Dennoch wurde Olga Fajans nicht abgewiesen. Seit kurzem nämlich duldete man Frauen als
Hörerinnen. Hierbei handelte es sich vorwiegend um ausgebildete Lehrerinnen oder Frauen,
die im Ausland, meist in der Schweiz, die Matura erworben und dort oftmals bereits einige
Semester studiert hatten.26 Unbedingte Voraussetzung war, dass sie sich vorher bei den Professoren
vorstellten, deren Veranstaltungen sie besuchen wollten. Konnten sie den Dozenten
von ihrer „Studierfähigkeit" überzeugen, durften sie an seinen Vorlesungen und Übungen teilnehmen
, wenn sie vorher das übliche Hörergeld bezahlt hatten. Dass diese Gebühr den Professoren
direkt zugute kam, dürfte manche Entscheidung positiv beeinflusst haben. Selbstverständlich
war die Zulassung als Gast zu einzelnen Veranstaltungen nicht mit der Erlaubnis verbunden
, eine staatlich anerkannte Prüfung abzulegen - geschweige denn das Staatsexamen. Im
Gegenteil: Die Professoren hatten jederzeit das Recht, ihre Zustimmung zurückzuziehen und
nach Gutdünken eine einmal zugelassene Frau aus ihrer Vorlesung wieder auszuschließen.27
Leider ist nicht mehr eruierbar, wer der Rector war, der sich für die Studentin Olga Fajans
einsetzen wollte. Eigentlich kann es sich nur um den Freiburger Prorektor Robert Wiedersheim
gehandelt haben. Tatsächlich war Wiedersheim Professor für Anatomie und bekleidete von
April 1894 bis April 1895 das Prorektorenamt. Dies entsprach demjenigen des Rektors, denn
das Rektorenamt an den badischen Universitäten war dem Großherzog vorbehalten. Auch
scheint Wiedersheim kein dezidierter Gegner studierender Frauen gewesen zu sein. Zumindest
in der Rückschau gab er sich 1919 als Vorkämpfer des Frauenstudiums aus.28 Tatsächlich soll
er seine Hörerinnen bereitwillig aufgenommen und auch vor der offiziellen Einführung des
Frauenstudiums gerecht behandelt haben. Karen Danielsen, die als Psychotherapeutin Karen
Horney in Amerika Karriere machen sollte und wenige Jahre nach Olga Fajans in Freiburg studierte
, äußerte sich zum Beispiel in ihrem Tagebuch ausgesprochen positiv über ihren Anatomieprofessor
.29
Allerdings scheint nicht Wiedersheim selbst, sondern sein Mitarbeiter und Prosektor Franz
Keibel gegenüber Olga Fajans die Einladung zum Studium in Freiburg ausgesprochen zu haben
. Er war seit langem mit ihrer Familie befreundet und fand sich im Frühjahr 1897 eigens
am Bahnhof ein, um die künftige Studentin zwei Wochen vor Beginn des Sommersemesters
willkommen zu heißen.30 Dass dem Mentor aber nicht ganz wohl in seiner Haut war, zeigen
die guten Ratschläge, die er Olga Fajans sogleich erteilte: Er erklärte mir todernst, dass ich,
als einzige und erste Weiblichkeit an der Univ(ersität), ungeheuer vorsichtig, tugendhaft, re-
25 Vgl. Zusammenstellung der an den deutschen Universitäten bestehenden Einrichtungen und Anschauungen betreffend
das Frauenstudium, 29.1.1898. In: Universitätsarchiv Freiburg (UAF), B 37/541. Vgl. Ute Scherb:
Principielle Bedenken: akademische und staatliche Willensbildung auf dem Weg zum Frauenstudium an der Universität
Freiburg. In: Freiburger Universitätsblätter 145, 1999, S. 109-118, hier S. 110 f. und S. 115 f.
26 Zur Situation in der Schweiz vgl. Scherb (wie Anm. 1), S. 21-24.
27 Vgl. ebd., S. 32.
28 Robert Wiedersheim: Lebenserinnerungen. Tübingen 1919, S. 111; vgl. Eduard Seidler: Die Medizinische
Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau. Grundlagen und Entwicklungen. Berlin u.a.
1991, S. 235.
29 Vgl. Scherb (wie Anm. 1), S. 77.
30 Vgl. Hempel (wie Anm. 3), S. 72 f.
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