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Anfechtungen bestand Olga Fajans 1902 als erste Frau an der Universität Breslau ihr Staatsexamen
.58
Kurz darauf heiratete sie den evangelischen Gutsbesitzersohn Hugo Hempel, den sie in
ihrer Freiburger Studienzeit kennen gelernt, und der ebenfalls in Breslau sein Staatsexamen
abgelegt hatte.59 Das junge Paar ließ sich zunächst in München nieder, wo er sich zum HNO-
Spezialisten weiterbilden ließ, während sie als Ärztin in der Kinderabteilung des Gisela-Hospitals
arbeitete.60 Im August 1903 wurde Marianne, die erste Tochter geboren. Kurz darauf zog
die Familie nach Marburg, wo Hugo eine Stelle angenommen hatte. Olga Hempel setzte sich
an ihre Doktorarbeit, konnte sie jedoch wegen der Belastung durch zwei Kinder - schon 1904
war ihre zweite Tochter Eleonore geboren -, nicht abschließen.61 Sohn Reinhardt, der 1909 geboren
wurde, vervollständigte die Familie. Inzwischen hatte sich Hugo Hempel in Berlin niedergelassen
und in der Wohnung eine noble Facharztpraxis eingerichtet. Ein Privatleben im eigenen
Zuhause konnte unter diesen Umständen kaum stattfinden, nicht zuletzt wegen der
„Hörproben" auf dem langen Korridor, wobei absolute Stille herrschen musste - und das bei
drei heranwachsenden Kindern.62 Auch Olga arbeitete in Berlin als Ärztin, sie hatte an einer
Kinderklinik für nachmittags eine Anstellung gefunden.63 Notgedrungen verbrachten die Kinder
sommers wie winters viele Stunden mit ihrem Kindermädchen im Zoo, mit mäßiger Begeisterung
: Unsere Mutter war ein Frische-Luft-Fanatiker und hat uns oft damit gepeinigt, erinnerte
sich viele Jahrzehnte später ihre Tochter Eleonore.64
Etwa ab 1909 begann auch Olga Hempel selbständig zu arbeiten. Sie praktizierte an den Wochenenden
in dem kleinen, am Schwielowsee südlich von Potsdam gelegenen Dorf Ferch, wo
sich die Familie ein Wochenendhäuschen eingerichtet hatte.65 Hierhin flüchtete Olga Hempel
in regelmäßigen Abständen vor den für sie zunehmend unerträglichen Verhältnissen in der Berliner
Wohnung. In der Ehe kriselte es schon lange. Endgültig zerbrach die Ehe nach dem Ersten
Weltkrieg, aus dem Hugo Hempel mit stark veränderter Persönlichkeit zurückkehrte: Er
war, so schrieb sie selbst, zu einem durch den Krieg so fürchterlich veränderten, verrohten
Menschen geworden.66 Außerdem entwickelte er sich mehr und mehr zum überzeugten Antisemiten
. Für seine Frau, die sich ihm zuliebe vor der Hochzeit hatte evangelisch taufen lassen,
war dies ebenso wenig zu ertragen wie seine zunehmende Brutalität gegenüber ihr und den
Kindern.67
Schließlich verließ sie ihn und flüchtete mit ihren Kindern dahin, wo sie vor langer Zeit
glückliche Tage verlebt hatte: Im Herbst 1919 traf sie erneut in Freiburg ein. Hier hatte sich
infolge des Krieges einiges geändert: Die Stadt war angefüllt von Flüchtlingen aus dem jetzt
wieder französischen Elsass, und die Versorgung mit Wohnraum stellte ebenso wie diejenige
mit Nahrungsmitteln ein schier unlösbares Problem dar. Auch Arbeitsplätze waren äußerst rar
- immerhin war mit dem Elsass ein bedeutender Absatzmarkt weggebrochen. Stadtfremde erhielten
ab April 1919 nur eine Wohnung zugewiesen, wenn sie in der Lage waren, eine Be-
58 Vgl. Buchin (wie Anm. 2), S. 257.
59 Hugo Hempel hatte sich am 4. November 1897 ins Matrikelbuch der Albert-Ludwigs-Universität eingetragen
und die Hochschule am 14. März 1899 nach bestandenem Physikum wieder verlassen. Vgl. UAF, A 66/9;
B 44/82, Nr. 4603 und B 37/506.
60 Vgl. Gill (wie Anm. 4), S. 27.
61 Vgl. ebd., S. 29.
62 Vgl. Hempel (wie Anm. 3), S. 102.
« Vgl. ebd., S. 121.
64 Leonore Zuntz: Frische Luft! In: Bongo Berlin 32, 2002, S. 66-76, hier S. 66. Eleonore Zuntz geb. Hempel
(1904-1993), die sich selbst ausschließlich Leonore nannte, schrieb ihre Erinnerungen an die täglichen Zoo-Besuche
kurz vor ihrem Tod nieder.
65 Vgl. Gill (wie Anm. 4), S. 33.
66 Hempel (wie Anm. 3), S. 162.
« Vgl. Gill (wie Anm. 4), S. 35 f.
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