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der Zeit wieder einen höflicheren Umgangston zwischen uns einzuführen?' ,Fr(au) Dr. nehmen
mir den (Hitler-)Gruß nicht ab.' Nun legte ich los, sagte ihm, dass ich als Dame nicht mal die
Chefs zuerst grüßte. Dass ich an Herkunft, Erziehung, Bildung, Wissen ihm 100 Mal überlegen
sei, dass daran auch Hitler nichts geändert habe, etc. etc. Der Erfolg: er dankte für die
offene Aussprache, bat mir d(ie) Hand schütteln zu dürfen, u(nd) war von dem Tage (an) mein
ergebener Page, immer bereit, mir kl(eine) Dienste zu tun. Die potentielle Konsequenz aus
ihrem Tun war ihr offensichtlich bewusst: Er hätte mich ja anzeigen u(nd) ins KZ bringen können
, aber dass ich keine Angst vor ihm hatte, imponierte ihmP
Dass sich das Klima nicht nur in Deutschland, sondern auch bei der Firma Rosenberg allmählich
änderte, scheint Olga Hempel nicht weiter berührt zu haben. Selbstverständlich war
1933 auch in ihrem Betrieb der „Hitler-Gruß" eingeführt worden. Und alle, ohne Ausnahme,
Hessen sich dazu herbei, wie ja im ganzen dtsch. Volk Niemand den Mut aufbrachte, nicht mit
diesem Gruss zu grüssen. Ich natürlich bildete in unserer Firma die einzige Ausnahme. Zu mir
sagte man nur aus Versehen Heil Hitler, u(nd) wenn es mal einer der Packerinnen entfuhr, so
kam gleich hinterher: ,ach verzeihen Fr. Doctor.'S4
Ob Olga Hempel tatsächlich der Meinung war, die Nazis so auf Abstand halten zu können,
lässt sich heute nicht mehr beurteilen. Auch ihre Enkelin Irene Gill fragt sich etwas ratlos, wie
ihre Großmutter, die immerhin bis 1938 in Freiburg lebte, ihre Erinnerungen abfassen konnte,
ohne auch nur einmal die „große Politik" anzusprechen: Sie erwähne nicht den Judenboykott,
schreibe nichts über den Reichstagsbrand, gehe kaum darauf ein, dass sich auch die Stadt Freiburg
und ihre Bevölkerung mehr und mehr dem nationalsozialistischen Kurs verschrieben.85
Dabei kann Olga Hempel kaum entgangen sein, dass die SA unter Führung des NSDAP-Kreisleiters
und späteren Nazi-Oberbürgermeisters Franz Kerber schon am 11. März 1933 in der
Kaiserstraße einen ersten Boykott jüdischer Geschäfte veranstaltete,86 bevor der reichsweite
Boykott vom 1. April 1933, auch in Freiburg systematisch vorbereitet und konsequent durchgeführt
, einen überdeutlichen Vorgeschmack künftigen Unrechts und Verbrechens bot.87 Die
SA pöbelte nämlich keineswegs nur in Haslach, sondern zog auch grölend durch die beschauliche
Wiehre, um dort ebenfalls lauthals zu brüllen: Wenn das Judenblut vom Messer spritzt,
dann geht's noch mal so gw?.88 Wie überall hofften auch in Freiburg viele Jüdinnen und Juden
damals noch, der Spuk werde bald wieder vorbeigehen, und auch Olga Hempel machte da
keine Ausnahme.89 Dennoch ist es beachtlich, dass sie aus der Rückschau über solche Vorfälle
weder berichtete noch diese bewertete.
Natürlich durchschaute Hempel, weshalb die Unternehmer-Familie Rosenberg 1933 nach
Basel übersiedelte - immerhin hielt sie es für wichtig zu bemerken, dass der neue Geschäftsführer
„arisch" war. Sie wird auch miterlebt haben, wie in den folgenden Jahren ein jüdischer
Geschäftsinhaber nach dem anderen dem Druck nachgeben und meist unter entwürdigenden
Bedingungen seinen Laden an „deutschblütige Volksgenossen" übergeben musste.90
83 Hempel (wie Anm. 3), S. 171 ff.
84 Ebd., S. 172 f.
85 Vgl. Gill (wie Anm. 4), S. 39.
86 Vgl. Ernst Bräunche/Werner Köhler/Hans-Peter LuxTThomas Schnabel: 1933. Machtergreifung in Freiburg
und Südbaden (Stadt und Geschichte 4). Freiburg 1983, S. 38.
87 Vgl. Heiko Haumann: Das Schicksal der Juden. In: Geschichte der Stadt Freiburg im Breisgau. Bd. 3: Von der
badischen Herrschaft bis zur Gegenwart. Hg. von Heiko Haumann und Hans Schadek. Freiburg 1992, S. 325-
339, hier S. 326.
88 Vgl. David Maier: Geburtsort Freiburg. Erinnerungen eines deutsch-jüdischen Engländers. In: Stadt und Geschichte
18. Freiburg 2001, S. 23; sowie Käthe Vordtriede: Mir ist es noch wie ein Traum, dass mir diese abenteuerliche
Flucht gelang... Briefe nach 1933 aus Freiburg im Breisgau, Frauenfeld und New York an ihren Sohn
Werner. Lengwil 1998, S. 39.
89 Haumann (wie Anm. 87), S. 326 f.
90 So entschloss sich z.B. Max Mayer im Jahr 1935, sein Ledergeschäft an seinen Angestellten Eugen Rees zu verkaufen
. Im Gegensatz zur überragenden Mehrzahl solcher Verfahren konnte diese „Arisierung" unter fairen Be-
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