Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 465,da
Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
122.2003
Seite: 185
(PDF, 58 MB)
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Dass die Kränkungen letztlich auch an Olga Hempel nicht spurlos abgeprallt sein dürften,
zeigen zwei Begebenheiten, die sie in ihrer Autobiografie ausführlich schildert: So stand in der
Registratur, dem Hempelschen Reich bei der Firma Rosenberg, regelmäßig ein Gross-Reinemachen
an. Es war Usus, dass sie sich einige Arbeiterinnen als Hilfen selbst aussuchen konnte,
und sie wählte stets die mit den besten Stimmen. Ihre Putzkolonne freute sich über die willkommene
Abwechslung, und die Atmosphäre muss recht gut gewesen sein, denn die Frauen
sangen während der Arbeit miteinander Mendelssohn-Lieder, die ihnen Hempel beibrachte.
Eines Tages sagte ich: Ja Kinder, das dürft ihr nun aber nicht mehr singen, der Componist ist
ein Jude. Ich darf, aber ihr nicht.'Dann war grosse Trauer. Ich aber wollte ihnen doch den Unfug
solcher Verbote mal deutlich demonstrieren.91

Zum zweiten befand sich unter ihren Kollegen ein junger SS-Mann, was ihn nicht hinderte,
mich sehr zu lieben u(nd) zu verehren. Als dieser mit dem Motorrad verunglückte, schickte ihm
Olga Hempel zur Aufmunterung ein Päckchen mit Leckereien in die Klinik. Der Beschenkte
wagte es nicht, seiner jüdischen Gönnerin zu schreiben und sich zu bedanken. Sie stellte ihn
später zur Rede und kündigte ihm die Freundschaft, da er ein Feigling sei. In diesem Zusammenhang
findet sich eine der seltenen Passagen, in der sie über die Nazizeit reflektierte: An
diesem Beispiel wurde mir erst ganz klar, woran das deutsche Volk krankte, was seine Hauptfehler
waren, u(nd) was es möglich machte, dass ein geistig relativ hochstehendes Volk, das
Volk der Dichter u(nd) Denker, der edelsten Musik, ein im Grunde gutartiges Volk, sich so bedingungslos
den Nazi-Verbrechern unterwerfen konnte, sich, wenn auch in vielen Fällen nicht
aktiv, an den Greueln zu beteiligen, doch so tief erniedrigen konnte, dass es all das Verruchte
mit ansah u(nd) geschehen Hess. Seitdem sehe ich als Nationalfehler der Deutschen ihre Leidenschaft
zu befehlen u(nd) zu gehorchen an, die Ausschaltung des individuellen, selbständigen
Denkens gegenüber allem, was sie als Autorität ansehen.92

Während es Olga Hempel in ihrem Freiburger Alltag anscheinend gut gelang, die braunen
Anfeindungen zu ignorieren, setzte ihr unsolidarisches Verhalten innerhalb der eigenen Familie
deutlich mehr zu. Ihrem Sohn, der mit 15 Jahren Freiburg verlassen und zu seiner Verwandtschaft
väterlicherseits nach Zschoppach in Sachsen gezogen war, um sich dort als Landwirt
zu betätigen, nahm sie sehr übel, dass er alles daran setzte, um einen „Ariernachweis" zu
erhalten. Den benötigte er dringend, um seinen Hof nicht zu verlieren, da laut Nazi-Ideologie
ein „Mischling" nicht das Recht hatte die „deutsche Scholle" zu bestellen. Tatsächlich gelang
es ihm, die Behörden davon zu überzeugen, dass er aus einem „arischen" Seitensprung seines
Vaters hervorgegangen sei, und so konnte er seinen Hof behalten.93 Sein Verhalten kränkte
Olga Hempel zutiefst, und es war in ihren Augen ebenso wenig entschuldbar wie dasjenige
ihres Schwiegersohnes. Der machte seiner Frau 1932 wegen ihrer dritten Schwangerschaft die
bittersten Vorwürfe.94 Eleonore Zuntz zog die Konsequenz und floh - ähnlich wie ihre Mutter
Jahre zuvor - nach Freiburg.

Inzwischen hatte Olga Hempel die Erwinstraße verlassen und in der Oberau eine hübsche
moderne kl. Wohnung etwas außerhalb der Stadt bezogen. Ganz in der Nähe fand auch Eleo-

dingungen durchgeführt werden. Vgl. Heiko Haumann: Mein Judesein ist meine Trutzburg. Der Lebensweg des
Freiburger Kaufmanns Max Mayer (1873-1962). In: Das Schicksal der Freiburger Juden am Beispiel des Kaufmanns
Max Mayer und die Ereignisse des 9./10. November 1938. In der Vergangenheit liegt die Kraft für die
Zukunft (Stadt und Geschichte 13). Hg. von Heiko Haumann und Hans Schadek. Freiburg 1989, S. 27-64, hier
S. 45. Die Umstände, unter denen in Freiburg „arisiert" wurde, sind jüngst in einer Dissertation aufgearbeitet
worden. Die Studie wird im kommenden Jahr erscheinen: Andrea Brucher-Lembach: Arisierung und Wiedergutmachung
in Freiburg (Alltag & Provinz 12). Bremgarten 2004.

91 Hempel (wie Anm. 3), S. 174 f.

92 Ebd., S. 175 ff.

93 Vgl. Gill (wie Anm. 4), S. 50.

94 Hempel (wie Anm. 3), S. 191.

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