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nore Zuntz mit ihren Kindern ein neues Zuhause.95 Da der Altphilologe Günther Zuntz, inzwischen
nach Dänemark emigriert, seine Familie nicht unterstützte, und seine Frau nicht in
der Lage war, drei Kinder zu versorgen und gleichzeitig Geld zu verdienen, musste Olga Hem-
pel mit ihrem Einkommen zwei Haushalte finanzieren. Aus Kostengründen zogen die drei Generationen
weitab vom Stadtzentrum schließlich unter ein gemeinsames Dach - zunächst im
Jahr 1934 nach Zähringen, ein Jahr später nach Günterstal.96 Auf Vermittlung ihrer Mutter
konnte Eleonore Zuntz 1936 mit ihren Töchtern nach Kopenhagen aufbrechen. Olga Hempel
nämlich hatte nicht länger mit ansehen wollen, wie Günther Zuntz seine Familie ignorierte,
und sich daher an seinen Vater Leo Zuntz gewandt, den sie seit ihrer gemeinsamen Freiburger
Studienzeit gut kannte. Dieser konnte seinen Sohn überreden, seine Familie zu sich zu nehmen
. Dass es dabei weniger um die wirtschaftliche Versorgung, sondern vor allem um die
Sicherheit von Frau und Kindern ging, wurde, so scheint es, nie thematisiert. Selbstverständlich
konnte Dänemark nur eine Durchgangsstation bleiben, und die Familie emigrierte drei
Jahre später ein zweites Mal, jetzt nach Großbritannien.97 Nach dem Wegzug der Familie Zuntz
konnte sich Olga Hempel wieder eine Wohnung in der Stadt leisten und zog zum zweiten Mal
in die Oberau.98
Bis auf Olga war nun die gesamte Familie in Sicherheit, denn bereits 1934 hatte ihr zweiter
Schwiegersohn Achim Leppmann als Bauingenieur bei der Niederlassung einer schwedischen
Firma im persischen Schiras Arbeit gefunden und seine Frau mitsamt der beiden Töchter
nachgeholt.99 Auch Olga Hempel verließ 1935 Deutschland, allerdings nicht, um den Nazis
für immer zu entfliehen, sondern nur, um ihre Tochter Marianne mit Familie, die inzwischen
in Teheran lebte, zu besuchen. Mit der größten Selbstverständlichkeit kehrte sie einige Wochen
später nach Freiburg zurück und nahm ihre Arbeit bei der Firma Rosenberg wieder auf. Beinahe
fassungslos muss Irene Gill feststellen, dass sich ihre Großmutter noch in der zweiten
Hälfte der 30er-Jahre völlig unbekümmert in Deutschland aufgehalten habe, als ob die Nazis,
die dafür verantwortlich waren, dass das Leben für ihre jüdischen Verwandten und Freunde
zunehmend unerträglich wurde, mit ihr nichts zu tun hätten.100
Selbst als sie zum 1. Juli 1938 ihre Anstellung verlor, weil Hugo Rosenberg im Zuge der
Arisierungsmaßnahmen gezwungen war, seine Freiburger Firma aufzugeben, erkannte Olga
Hempel die Bedrohung nicht. Die neuen Eigentümer verabschiedeten sie in aller Höflichkeit,
und sie erhielt als Abfindung ihr Gehalt für ein weiteres halbes Jahr ausbezahlt - eine vollkommen
unübliche Verfahrensweise in dieser Zeit. Nach dem Krieg verzichtete Werner Rosenberg
, der Sohn des früheren Firmenchefs, gegenüber den Wiedergutmachungsbehörden der
95 Hempel (wie Anm. 3), S. 190. Das Freiburger Einwohnerbuch führt Olga Hempel letztmalig für das Jahr
1931/32 mit Wohnsitz Erwinstraße 39, 4. OG auf. 1934 erscheint Olga Hempel in der Heimatstraße 14, Eleonore
Zuntz in der Parallelstraße, ihre Adresse lautet Reischstraße 3. Beide sind somit spätestens 1933 in ihre
Wohnungen eingezogen. Vgl. Einwohnerbücher der Stadt Freiburg (wie Anm. 73).
96 1934 waren Olga Hempel und Eleonore Zuntz in die Wildtalstraße 45, 1935 in den Rehhagweg 3 gezogen. Vgl.
ebd.; Gill (wie Anm. 4), S. 40.
9? Vgl. Hempel (wie Anm. 3), S. 191.
98 1938 erscheint ihr Name erstmals unter Neumattenstraße 31 im Freiburger Einwohnerbuch. Vgl. Einwohnerbuch
der Stadt Freiburg (wie Anm. 73).
99 Marianne Leppmann war zusammen mit ihren beiden Töchtern Dorothea und Susanne von Januar bis April 1934
bei Olga Hempel in der Freiburger Heimatstraße gemeldet. Über diesen Aufenthalt berichten weder Olga Hempel
noch Irene Gill. Es ist nicht auszuschließen, dass es sich um eine Scheinanmeldung gehandelt hat, mit der
die Zeit zwischen Achim Leppmanns Emigration und derjenigen seiner Familie überbrückt werden musste. Die
Meldekarte von Marianne Leppmann und ihren Töchtern befindet sich als einzige der Familien
Fajans/Zuntz/Leppmann noch heute im Freiburger Melderegister, das im Stadtarchiv verwahrt wird. Selbstverständlich
wurde sie von einem pflichtbewussten Beamten mit dem Vermerk „Jüd. " - Mischling I. Grades versehen
.
00 Im Original heißt es: (she) lived quietly, as ifthe Nazis, who were making life more and more intolerable for her
Jewish relatives and friends, had nothing to do with her. Gill (wie Anm. 4), S. 41.
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