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Gebetbuch der katholischen Kirche stehen. Geistig fortgeschrittenere Männer, welche sich unter
falscher Voraussetzung aufnehmen ließen, ziehen sich bald wieder enttäuscht zurück oder
betrachten die Loge nur noch als gesellschaftlichen Club. Die Freimaurerei in ihrem früheren
Sinne aber hat sich in keinem Sinne überlebt. Stärker und kräftiger als je erhebt heute die
schwarze Macht der Finsternis und Reaktion ihr Haupt; die Jesuiten und ihre Gefolgschaft
haben bereits die Grenzen überschritten und ihre unheilvolle Wühlarbeit begonnen; die alten
Logen aber schlafen auf ihren Lorbeeren oder befehden sich gegenseitig um ihres , christlichen
Prinzips' willen. Eine mächtige Großloge, begründet auf freier monistischer Weltanschauung,
frei von Bibelglauben und frommen Sprüchen, könnte einzig und allein die Freimaurerei wieder
zu ihrem ursprünglichen Zweck zurückführen. ,Alle religiös-freidenkenden Männer zu
vereinigen zu einem Schutz- und Trutzbündnis gegen religiöse Unduldsamkeit und Verfolgung
zu einem stillen, aber mächtigen Hort religiöser und geistiger Freiheit.'"14 In einem anderen
Text hieß es: „Der Grundgedanke der Freimaurerei war, die Menschheit aus den engen Fesseln
der Konfessionen und der dogmatischen Weltanschauungen herauszuheben und sie auf
den Boden des reinen Menschentums zu stellen. Der Freimaurerbund Zur Aufgehenden Sonne
(F.Z.A.S.) e.V. in Nürnberg hat diesen Grundgedanken in ursprünglicher Reinheit und zeitgemäßer
Form wiederbelebt, um alle geistig hochstehenden, frei und ideal gesinnten Männer,
welche der Freimaurerei in den letzten Jahrzehnten ablehnend oder interesselos gegenüberstanden
, wieder zu sammeln und zu einem mächtigen Bund der freigeistigen Elite unserer Zeit
unter Ausschluss rein politischer Bestrebungen zu vereinigen. Dadurch soll der FZAS auch zu
einer Schule werden für alle die vielen nach geistiger Klarheit ringenden Ethiker und Gottsucher
der ganzen Welt. Um dieses Ziel ungehindert erreichen zu können, hat sich der Bund
als selbständige und unabhängige Großloge konstituiert und ist dem Deutschen Großlogen-
bund nicht unterstellt und nicht angegliedert."
Kern solcher Darstellungen waren einmal das damals moderne naturwissenschaftlich-monistische
Weltbild Ernst Haeckels von der Einheit von Materie und Geist und zum anderen die Forderung
des „reinen Menschentums" im Sinne der von Kant postulierten Autonomie, d. h. des
von Gott losgelösten Sittengesetzes, oder auch des von dem Freimaurer Lessing in seiner „Erziehung
des Menschengeschlechts" formulierten Postulats, das Gute zu tun, weil es das Gute
ist und nicht, weil Belohnungen darauf gesetzt sind. Ethisches Handeln nach Lessing also nicht
aus Gottgefälligkeit mit antizipierter Belohnung etwa in Form eines Himmelreichs, sondern
ethisches Handeln als konstitutiver Antrieb des Menschen selbst - eben humanistisch. Und der
ideologische Hintergrund der Forderungen des gerade gegründeten FZAS waren schließlich die
Zeitumstände im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts. Dazu gehörten etwa die teilweise
Aufhebung des aus dem Kulturkampf stammenden Ausnahmegesetztes von 1872 gegen die Jesuiten
im Mai 1904; die Wahl des Papstes Pius X. im Jahre 1903 und dessen Maßnahmen gegen
die sogenannten „Modernisten" (Reformkatholiken) qua Syllabus „Lamentabili" vom Juli
14 Freimaurer wurden auf dem Kontinent recht früh Opfer klerikaler und staatlicher Willkür. In Deutschland zum
Beispiel durch den katholischen Kurfürsten Carl Philipp auf dem Territorium der Kurpfalz (Heidelberg, Mannheim
, Frankenthal usw.) mit dessen Verbot vom Oktober 1737, d. h. schon vor der ersten päpstlichen Bulle „In
eminenti..." Clemens XII. vom April 1738 (vgl. Hans-Detlef Mebes: Die früheste deutsche Freimaurerverfolgung
. Das kurpfälzische Dekret vom Herbst 1737. In: Badische Heimat 81, 2001, Heft 2, S. 263-271). In protestantischen
Ländern dagegen haben sich im Laufe der Zeit Kaiser und Könige in Freimaurerlogen aufnehmen
lassen und auf die Weise der immer wieder erneuerten Päpstlichen Bannflüche gespottet. Die entsprechende Entscheidung
des Kronprinzen Friedrich von Preußen, der in der Nacht vom 14. auf den 15. August 1738, nur vier
Monate nach der oben genannten Bulle, in Braunschweig als Freimaurer initiiert, befördert und zum Meister erhoben
worden war, muss deshalb als seine durchweg politische Entscheidung beurteilt werden. Ein gleichermaßen
politisch opportuner Zeitpunkt war die Gründung der ersten Großloge in London im Juni 1717 knapp drei
Jahre nach dem Machtantritt des Hannoveraner Protestanten Georg I. und seines auf innenpolitischen Ausgleich
bedachten „Premierministers" Robert Walpole im zweiten Halbjahr 1714 als Beginn einer jahrzehntelangen Vorherrschaft
der Whigs (Verf., Arbeit in Vorbereitung).
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