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Staatsdienst entfernt worden war, pflegte Herr Stengler bis zum letzten Kriegstage freundschaftlichen
Verkehr mit mir und meinem Mann. Auch habe er ihnen nach einem schweren
Fliegerschaden sehr geholfen, Leute aus seiner Kompanie zur Verfügung gestellt und kein
Risiko gescheut.40 Darüber hinaus wies er darauf hin, dass er zu Kriegsende in der Widerstandsbewegung
„Freiheitsaktion Bayern" tätig gewesen sei. Dies bestätigte ein Schreiben des
Münchner Polizeipräsidenten Franz Xaver Pitzer vom 2. März 1946.41
Gegenüber Brigitte Tritschler, die ihn in München besuchte, berichtete Stengler ebenfalls
von seiner Beteiligung an der Widerstandsaktion.42 Den Kern der „Freiheitsaktion Bayern" bildete
die Dolmetscher-Kompanie im Wehrkreis VII unter Hauptmann Rupprecht Gerngroß. Sie
unterhielt ein Netzwerk zu verschiedenen anderen regimekritischen Personen und Kreisen,
darunter zum Verbindungsoffizier des Reichstatthalters Ritter von Epp zur Wehrmacht, Major
Günter Caracciola-Delbrück; zu dessen Gruppe soll Stengler gehört haben. Am 26. April 1945
begann die Aktion einen Aufstand in München, um die Stadt kampflos den vorrückenden Alliierten
zu übergeben. Es gelang, Radiosendeanlagen und Zeitungsredaktionen zu besetzen,
das Rathaus einzunehmen sowie den Oberbürgermeister und SS-Brigadeführer Christian Weber
zu verhaften, Aufrufe an die Bevölkerung zu erlassen und zum Reichsstatthalter vorzudringen
. Als dieser jedoch seine Unterstützung versagte, brach der Putschversuch am 28. April
zusammen. Die Verhafteten wurden wieder freigelassen und revanchierten sich dafür, indem
41 Aufständische erschossen wurden, darunter Caracciola-Delbrück. Gerngroß konnte fliehen.
Auch außerhalb Münchens kam es zu einzelnen Erhebungen, die blutig niedergeschlagen wurden
. Am 30. April besetzten amerikanische Truppen München.43 Stengler war Vertreter des
Verbindungsoffiziers der Luftwaffe zum Gauleiter und Reichsverteidigungskommissar Paul
Giesler, Anton Ernstberger. Als dieser sich der Verhaftung durch Flucht entzog, übernahm
Stengler seine Funktion. Unter Lebensgefahr sorgte er dafür, dass Befehle Gieslers falsch übermittelt
wurden, und trug mit seinem Verhalten dazu bei, dass München nicht verteidigt und damit
von weiteren Zerstörungen verschont blieb.44
Der 1933 gewaltsam aus seinem Amt gedrängte und 1945 wieder eingesetzte Elzacher Bürgermeister
Rapp45 bestätigte in einem Schreiben vom 17. Juni 1947 an die Spruchkammer X
in München das positive Bild. Stengler habe aus seiner Skepsis gegenüber dem Nationalsozialismus
keinen Hehl gemacht und sich auch immer wieder Unannehmlichkeiten seitens der
40 StadtAEl, 740/3, Nr. 873, Anlage 8 zum Bericht Stenglers vom 29.3.1946. Im Münchner Entnazifizierungsverfahren
bescheinigte auch der Ehemann, der inzwischen Senatspräsident und Leiter der Justiz in Hessen-Pfalz geworden
war, am 11.9.1946 dieses Verhalten (StAM, SpkA K 1773 Erwin Stengler, Spruchkammer-Entscheidung
vom 11.8.1947).
41 Dieses Schreiben ist in den Akten nicht mehr aufzufinden, es sollte nach einem handschriftlichen Vermerk Stenglers
Bürgermeister Rapp nach Erstellung der Kopie nachträglich zugesandt werden. Auch in den - unvollständigen
- Akten des Spruchkammerverfahrens ist es nicht enthalten (Auskunft von Archivrat Dr. Christoph Bachmann
vom 17.10.2003). Allerdings bestätigte Pitzer die Erklärung Ernstbergers vom 25.2.1946 zwei Tage später
, die Beglaubigung erfolgte am 2.3.1946 - vielleicht hat sich Stengler darauf bezogen (StAM, SpkA K 1773
Erwin Stengler).
42 Gespräch mit Brigitte Haas, 28.4.2001.
43 Rupprecht Gerngross: Aufstand der Freiheitsaktion Bayern 1945. „Fasanenjagd" und wie die Münchner Freiheit
ihren Namen bekam. Erinnerungen. Augsburg 1995; Hildebrand Troll: Aktionen zur Kriegsbeendigung
im Frühjahr 1945. In: Bayern in der NS-Zeit. Hg. von Martin Broszat, Elke Fröhlich und Anton Grossmann.
Bd. 4: Herrschaft und Gesellschaft im Konflikt, Teil C. München 1981, S. 660-689; Marion Detjen: „Zum
Staatsfeind ernannt": Widerstand, Resistenz und Verweigerung gegen das NS-Regime in München. München
1998.
44 StAM, SpkA K 1773 Erwin Stengler, Spruchkammer-Entscheidung vom 11.8.1947, Schreiben des Rechtsanwaltes
Dr. Seidenberger vom 28.11.1946, Eidesstattliche Erklärungen von Anton Ernstberger (25.2.1946 und
30.8.1946) und Hans Vieren (2.2.1946).
45 Vgl. Heiko Haumann: Elzach im 19. Jahrhundert und in der Gegenwart. In: Der Landkreis Emmendingen. Band
I. Hg. von der Landesarchivdirektion Baden-Württemberg in Verbindung mit dem Landkreis Emmendingen. Sigmaringen
1999, S. 585-611, hier S. 589.
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